18. Dezember 2011

Musik auf historischen Tasteninstrumenten.
Museum für Kunst und Gewerbe.

16:00 Uhr, freie Platzwahl


Claviermusik zum Advent (Susanne von Laun)

Werke von Bach, Haydn, Mozart, Clementi, Beethoven, Mendelssohn, Chopin, gespielt an sechs verschiedenen Instrumenten



Eine Frage: Was treibt Menschen dazu, eine solche Veranstaltung zu besuchen, nur um dort im Minutentakt jeden Funken Atmosphäre gnadenlos niederzuschneuzen? Es ist Winter, gewiß, aber die heimische Schellack-Sammlung will doch sicher auch entstaubt werden und im Zweifel sollte man nicht nur seine Bazillen, sondern sein ganzes ignorantes Wesen bei sich und in diesem Falle weit, weit von morschen Instrumenten und Zuhörernerven entfernt halten.

17. Dezember 2011

Der Vampyr – Fabian Dobler.
Hamburger Kammeroper.

20:00 Uhr, Parkett, Reihe 3, Platz 35


Das Allee-Theater erinnert mich in vielen Details an die alte Ohnsorg-Wirkungsstätte: Die kleine Kasse (ein Lebkuchenteller lädt zum Zugreifen ein), die Galerie mit Szenenfotos, das angeschlossene Café, die winzige Bühne, das alles verströmt den gleichen liebevollen, familiären Charakter. Dabei fällt gleich das Gastronomiekonzept auf, das offenbar Anklang findet und dem akustischen und visuellen Erlebnis ein kulinarisches zur Seite stellen möchte. Wohl bekomm’s.

Meine Allee-Theater-Premiere weckte ehrlicherweise im Vorfeld den ein oder anderen Vorbehalt in mir. Was ist von solch einer Semiprofi-Truppe zu erwarten? Verleiden die reinen Limitationen – eine winzige Bühne, ein eher rudimentär vorhandener Klangkörper usw. – nicht zwangsläufig ein noch so ambitioniertes, engagiertes Wollen der Beteiligten? Dieses hohe, auf Staatsopernweiden genährte Ross, konnte ich gedanklich glücklicherweise mit dem Eintritt in das Theater draußen anleinen und habe in den folgenden Stunden nicht ein einziges pikiertes Wiehern vernommen.

Dabei lösten die ersten Minuten der Aufführung durchaus noch Befremden bei mir aus, sowohl bezogen auf das Musikalische als auch das Szenische. Ein Hexenchor ohne Chor (gefühlt waren es vielleicht drei Hexen) schallt neben den Verlautbarungen eines Häufleins Musiker aus der Orchestermulde, und was zuerst wie das Skelett der Marschner-Partitur daherkommt, füllt sich auf wundersame Weise rasch mit Leben. Das (Kammer-)Konzept funktioniert. Irgendwann nimmt man beispielsweise einfach nicht mehr wahr, daß es kein Blech gibt, sondern nur das eine Horn (oder waren es doch zwei?) – völlig unerheblich, die Musik, ihr Gehalt, ihre Botschaften, ihre Finessen werden von dieser reduziertesten Besetzung in aller Leidenschaft übertragen. Respekt gebührt demzufolge der Einrichtung und Darbietung durch Herrn Dobler.

Wie gesagt, auch szenisch warf mich das Ganze anfangs in Irritation. Der Hauptdarsteller als wandelndes Bela Lugosi-Zitat, dazu ein fast scherenschnittartig gehaltenes Bühnenbild. Erste Lacher entfahren dem Publikum und mir die Frage, in welche Richtung das Ganze hier beabsichtigt ist. Aber schnell wird klar, die Inszenierung arbeitet bewußt mit den tradierten Stereotypen der Dracula-Umsetzungen und setzt, um das Stück unter der Last der von den heutigen Zuschauern im Rezeptions-Gepäck mitgebrachten Altlasten nicht niederzudrücken, auf Humor. Selbiger kommt nicht immer fein geschliffen daher, mag sein, aber alles in allem bereitet er die Fallhöhe für die vielen beseelten, innigen Momente, die insbesondere von den kontemplativen Arien ausgehen. Mir persönlich hat diese Herangehensweise den Eintritt in die Welt Marschners jedenfalls nahtlos ermöglicht, ohne in Klischees zu verharren und doch die romantisch-unschuldige Tiefe des Stückes seine Wirkung entfalten zu lassen.

Die Sänger ihrerseits trugen durch ihre Leidenschaft und Präsenz zum Gelingen des Abends bei. Dabei ist es unerheblich, ob jede einzelne Leistung staatsoperntauglich gewesen ist, oder sein konnte – an diesem Abend in diesem Raum besaß dieses Ensemble alles, um zumindest mich (und offenbar weite Teile des Publikums) in seinen Bann zu schlagen. Namentlich Frau Bitter traf in ihren mal wehmütigen, mal hoffnungsvollen Äußerungen der weiblichen Hauptpartien ein ums andere mal das Romantik-umflorte Herz. Und auch wenn der Tenor von Herrn Adrados vielleicht nicht den Schmelz der Auserwählten bereithält, so hat mich seine Arie des Aubry „Wie ein schöner Frühlingsmorgen ...“ doch, emporgehoben auf den Schwingen dieser wunderschönen Musik, die machtlos machtvolle Verzweiflung des Liebenden spüren lassen, der sein Glück in den Fängen des Dämons weiß. Für Momente wie diese besuche ich das Theater, egal, ob es den Zusatz Staats-, Hof-, oder Hinterhof im Briefkopf führt.

Zurück aus den lanzebrechenden Sphären hin zu den Betrachtungen nüchternerer Art. Der Bariton des Herrn Pohnert ist aller Ehren Wert und in der Lage, den kleinen Saal klangschön in Grund und Boden zu dröhnen. Die nuancenreichste Stimme des Abends nennt ohne Zweifel Frau Bitter ihr Eigen, insbesondere im lyrischen Bereich sehe ich ihre Stärken. Bei Herrn Adrados sorgt die starke Akzentfärbung hier und da für leichte Irritation. Die übrigen Teilnehmer runden den guten Gesamteindruck ab, wobei Herr Wiedl durch seine überbordende Spielfreude – gespeist aus einer herzhaften Volkstheater-Körperlichkeit – zum heimlichen Liebling des Publikums avanciert.

Ensemblebedingt rasche Rollenwechsel stören in keiner Weise, sondern unterstreichen wie die einfachen, aber liebevollen szenischen Einfälle, daß hier im besten Sinne (Theater-)Handwerk gelebt wird. Dabei geht es weniger um die platte Vorstellung „Not macht erfinderisch“, als vielmehr um die bestmögliche Ausnutzung der vorhandenen Gegebenheiten. Dies fängt bei der sinnvollen Einbeziehung des Zuschauerraumes als Ausweitung der Spielfläche an – konsequent weitergetragen in der „Erweiterung“ des Saales hin zum Restaurantbereich des Hauses in der Hochzeitsfestszene – und findet im Auferstehungseffekt des Dämons seine bühnentechnische Raffinesse.

Es bleibt festzuhalten: Die Hamburger Kammeroper bietet ein Theaterkonzept, das fernab des üblichen Strebens nach stimmlichen und szenischen Superlativen eine kleine, feine Welt aufmacht, die es zu bestaunen, für meinen Teil zu bewundern, doch keinesfalls zu belächeln gilt. Ich freue mich auf die nächste Produktion.


Heinrich August Marschner – Der Vampyr
Musikalische Leitung und Bearbeitung – Fabian Dobler
Regie – Andreas Franz
Bühne – Kathrin Kegler
Textfassung und Kostüme – Barbara Hass

Lord Ruthven – Daniel Pohnert
Janthe, Malwina, Emmy – Joo-Anne Bitter
Edgar Aubry, George Didbin – Enrique Adrados
Sir Berkley, Laird von Davenaut – Michael Doumas
Suse Blunt, schwarze Braut – Gritt Gnauck
Toms Blunt, Vampirmeister – Richard Wiedl

Das Alleetheater Ensemble

5. Dezember 2011

Deutsche Kammerphilharmonie Bremen –
Christian Tetzlaff.
Laeiszhalle Hamburg.

20:00 Uhr, 1. Rang links, Loge 7, Reihe 2, Platz 4


Wolfgang Amadeus Mozart – Violinkonzert
Arnold Schönberg – Verklärte Nacht

(Pause)

Joseph Haydn – Sinfonie Nr. 80

Felix Mendelssohn Bartholdy – Violinkonzert



Schöne Einführung mit Herrn Wacker. Informativ, ausgewogen, da sitzt jedes Wort – auch wenn bei Haydn aus Zeitmangel ein, zwei unausgesprochen blieben.

Die Kombination Kammerphilharmonie / Tetzlaff gefällt mir ausgesprochen gut. Der seidige, transparente aber auch leicht herbe Klang des Orchesters harmoniert wunderbar mit dem zupackenden, etwas spröden, aber immer feinen Ton des Solisten. Im Mozart agiert Tetzlaff für mein Empfinden mit deutlichem – nennen wir es mal Spiel – im Tempo. Nicht immer ist er exakt mit dem Orchester zusammen, immer wieder eilt er für einen Bruchteil seinen Mitstreitern davon, ohne daß dabei das Gesamtgefüge leiden würde. Dennoch habe ich mit dieser Herangehensweise teilweise Probleme.

Auch im Mendelssohn geht Tetzlaff mitunter frei zu Werke. Diese Freiheit hat auf der einen Seite ihren Reiz, weil sich aus ihr auch der Elan, der Schwung abzuleiten scheint, der ihn auszeichnet. Auf der anderen Seite steht sie im Gegensatz zu jener „linearen“ Art im Stile einer gut geölten Maschine, wie ich sie in Interpretationen häufig so liebe. Ist Tetzlaff ein Freund des Rubato – und ich etwa nicht? Nun ja, unter dem Strich sprechen wir hier von Nuancen. Genau um diesen Maßstab geht es dann auch, wenn ich Tetzlaff eine nicht immer ganz lupenreine Intonation ankreide. Wenn es darauf ankommt, ist diese absolut gegeben, nur „zwischendurch“ scheint er auch damit etwas freier umzugehen.

Ich möchte noch einmal betonen, wie sehr mich seine kraftvolle, energische Interpretation anspricht und ich denke die Gesamtheit der Eigenarten bildet den individuellen Charakter, auch wenn sie mir für sich betrachtet nicht komplett zusagen. Das einzige, was ich bei Tetzlaff tatsächlich vermisse, ist Kristall – insbesondere in der Höhe. Seine lyrischen, zarten Momente sind rein und fein, aber eher samtig als schneidend. Und daß schneidend nicht unbedingt mit hart gleichzusetzen ist, wurde mir spätestens seit Anne-Sophie Mutter zur wohligen Gewissheit.

Der Star des Abends war dem zufolge für mich das phantastische Orchester. In der Mozart–Interpretation zupackend, im Schönberg äußerst differenziert und feinsinnig, hat mich die Darbietung der Haydn-Sinfonie vollends in Verzückung gebracht. So kontrastreich, vielfarbig, spannungsvoll und gewitzt lasse ich mir selbst diese Zöpfe gefallen. Viel mehr, es hat einfach Spaß gemacht, der Haken schlagenden Partitur zu folgen. Daß hier explizit hervorgehoben wurde, man finde als Kammermusikensemble auch ohne Dirigent gemeinsam zu einer Lesart, scheint mir angesichts dieses Ergebnisses eindrucksvoll bestätigt. Im Mendelssohn-Konzert lag der gemeinsame Schwerpunkt von Solist und Orchester auf hohem Tempo und Elan. Eine wunderbare Interpretation, die allerdings hinter der kürzlich vorgelegten mit Frau Mutter zurücksteht. Als Zugabe gab es einen hinreißenden Beethoven, der Järvis Handschrift trägt.

Man kann nur wiederholen: Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ist ein erstklassiges Orchester, das Virtuosität und Klangschönheit in intensivster Form verbindet. Leider hatte an diesem Abend eine Vielzahl unsensibler Hust-Proleten den Weg in die Laeiszhalle gefunden, die sich insbesondere dazu auserkoren sahen, „unerträgliche“ Pausen mit ihrem Gebell zu stopfen. Sehr schade.

27. November 2011

The Turn of the Screw – Daniel Montané.
Theater Bremen.

15:30 Uhr, Parkett links, Reihe 3, Platz 12


Diese Inszenierung ist schlichtweg genial. Die Handlung als Kammerspiel in einem Raum, der, aus vier Perspektiven betrachtet – die wiederum noch in die Tiefe der Bühne gespiegelt werden – ein Kaleidoskop der aus dem Stück abgeleiteten Sichtweisen und Deutungsmöglichkeiten auffächert. Die Bühne als permanenter, zum Teil multipler Kommentar des Geschehens. So wie sich die Handlung eindeutigen Wertungskriterien entzieht, erhält die Inszenierung in ihrer – diesmal wortwörtlich ausformulierten – Vielschichtigkeit bewußt diesen Schwebezustand, deutet an und stellt Fragen, anstatt Partei zu ergreifen.

Für wen könnte man das auch? Für die Gouvernante, die, zweifellos mit den besten (wenn auch nicht ganz uneigennützigen) Absichten ihre Aufgabe antretend, sich doch vielleicht zu sehr in selbige hineingesteigert haben mag? Für Mrs. Grose, die offenbar mit ihren Aufgaben überfordert ist? Für die „ungezogenen“ Kinder – unschuldige Opfer oder doch bewußte Täter? Oder gar für die „bösen Geister“ des Stückes, die nun, ob Wahn oder Wirklichkeit, es im Leben vielleicht ja auch nur „gut gemeint“ haben – wie alle Erwachsenen in der Erzählung? Insbesondere bei besagtem Geisterpaar zeigt sich die Stärke der Regie, indem sie die beiden nicht als schauerliche Gespenster, sondern als attraktive Zeitgenossen auftreten läßt, was mancher „liebevollen“ Geste weitaus mehr Monstrosität verleiht, als es jede Theaterfratze vermocht hätte.

Worum geht es hier eigentlich? Um ein Ringen zwischen Gut und Böse? Um Kindesmißbrauch? Um Hysterie? All dies sind weniger offen ausgelegte Spuren, als vielmehr unterbewußt gesetzte Keime, die in den Köpfen der geneigten Zuschauer aufgehen und dort ein wucherndes Geäst aus Ahnungen entstehen lassen. Denn darum geht es ebenso: um den in einem jeden innewohnenden Hang zu voreiligen Schlüßen, zu Vorverurteilung und Schwarz-Weiß-Denken, zur einfachen, eindeutigen Wahrheit, die so häufig doch nur eine private ist.

Ein äußerst sensibles Dirigat, das mit ebenso feinfühlig zu Werke gehenden Musikern für eine ungemein dichte Atmosphäre sorgte, sowie ein Sängerensemble, das für exemplarische Qualität stand, ließen diesen Abend zusammen mit dem Gesehenen in seiner Geschlossenheit weit aus dem Gros handelsüblicher Aufführungen hervorstechen.


Benjamin Britten – The Turn of the Screw
Musikalische Leitung – Daniel Montané
Regie – Frank Hilbrich
Bühne – Volker Thiele
Kostüme – Gabriele Rupprecht
Licht – Christian Kemmetmüller
Choreografische Mitarbeit – Jacqueline Davenport
Dramaturgie – Hans-Georg Wegner

Der Prolog – Christian-Andreas Engelhardt
Die Gouvernante – Nadine Lehner
Miles – Fritjof Klingenberg
Flora – Tiziana Ratcheva
Mrs. Grose – Tamara Klivadenko
Peter Quint – Randall Bills
Miss Jessel – Marysol Schalit

Die Bremer Philharmoniker

26. November 2011

L’Africaine – Enrico Calesso.
Theater Würzburg.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 6, Platz 167














Das Theater aus den Sechzigern verströmt den Charme einer Gesamtschule. Klappernde Türen, ein kleiner Innenhof mit Begrünung und – Kopfsteinpflaster?! Das Gestühl scheint dem Härtegrad nach original erhalten zu sein. Aber dann die Akustik! Welch Klang in dieser tristen Hütte! Ob’s an der Laubsägearbeitenverschalung der Wände oder der spacigen Schlupp-vom-grünen-Stern-Decke liegt – egal, das Resultat gibt den Erbauern Recht. Wunderbar direkt, geradezu plastisch, knackig, trotzdem differenziert. Das hat Wumms und Klasse.

Leider kann der Klangkörper nicht mit seiner Heimstätte mithalten. So ist zumindest der erste Eindruck „Versetzung gefährdet“, zum Glück weiß Herr Calesso die offenkundigen Schwächen seines Orchesters durch Elan und Leidenschaft, aber auch Sensibilität wett zu machen. Offenbar kein schlechter Mann. Entfesselt insbesondere zu den Aktschlüssen einen regelrechten Furor, die Musiker folgen ihm dabei präzise und geschlossen.

Die Behauptung, das Orchester klänge generell nicht, läßt sich angesichts vieler wunderschöner Passagen nicht halten, manches Adagio hätte kaum schmelzreicher ausfallen können. Eigentlich jede Instrumentengruppe hat an diesem Abend ganz starke, aber eben auch schwache Momente, wobei sich bei mir der Eindruck einer stetigen Steigerung mit fortlaufender Dauer einstellte. Und noch einmal: wenn es klappt, dann klingt der Saal himmlisch, und es klappte oft.

Zu den Sängern: Auch hier sind angesichts des Spielortes keine Wunderdinge zu erwarten, wie so oft „in der Provinz“ kann man aber auch hier mit einem überzeugenden Ensemble aufwarten. Sicher gibt es auch hier Mißtöne, sollte man Vergleiche zu Aufnahmen gar nicht erst bemühen, aber unter dem Strich steht ein gelungener Abend zu Buche, der mir Meyerbeer einen weiteren Schritt näher gebracht hat. Besonders hervorheben möchte ich die Sängerin der Sélika und den Sänger des Nélusko.

Frau Leiber kommt das Verdienst zu, die Seele des Abends gewesen zu sein, sowohl mit ihrer gefühlvollen, sensiblen Lyrik als auch mit ihrer anrührenden Darstellung. Wenn sie in der Kerkerszene des zweiten Aktes mit dem Jackett ihres Angebeteten beschirmt ihren Schmerz besingt und ruhelos umherstreift, ist dies allein bereits Sinnbild dessen, was Oper zu leisten im Stande ist, warum ich Oper liebe. Adam Kim als Nélusko besitzt stimmlich und darstellerisch eben jenes Feuer, von dem im Libretto die Rede ist, da kann man ruhig mal von Idealbesetzung sprechen. Diese Kategorie kann Herr McNamarra als Vasco de Gama leider nicht erfüllen. Von Erscheinung und Auftreten her eher ungelenk als heldisch, verfügt er zwar über eine recht schöne Stimme, die in den tragenden Momenten jedoch nicht ausreicht. Ihr fehlt die Höhe, die Kraft, der Stahl, der aus einem Tenor einen Helden macht. Da hatte Erfurt mit seinem Robert ein glücklicheres Händchen. Solide reicht angesichts solch einer Rolle einfach nicht. Nathalie de Montmollin als Inès hat ihre stärksten Momente im ersten Akt, ihr zarter Sopran ist leider nicht immer intonationssicher. Paolo Ruggiero überzeugt als Don Diego und Hohepriester mit großem Organ, auch Jörn E. Werner als Großinquisitor kann sich hören lassen. Johan F. Kirsten als Don Pédro gebührt der Ehrenoscar für den blasiertesten Gesichtsausdruck auf deutschen Bühnen – scheinbar hat er nur den einen ...

Die Inszenierung ist recht konventionell mit „modernen“ Einsprengseln. Der Gang durch die drei Zeiten ist wohl der Kapitalismuskritik-Keule in den letzten beiden Akten geschuldet, trägt aber nichts zum Geschehen bei. Die Tatsache, daß die Insulaner bereits halb „zivilisiert“ erscheinen, ist als Verweis auf den Kolonialismus nachvollziehbar, mir jedoch – wie die Ölförderpumpe – als Bild zu platt. Die Nutzung der großen Wandelemente durch die Akte hindurch erfüllt wohl eher Anforderungen der Praktikabilität als der Ästhetik. Die stilisierte Exotik der „Wilden“ mit ihren Tätowierungen erscheint mir passend. Die Inszenierung hat jeweils dann ihre stärksten Momente, wenn die Hauptpersonen bei sich sind (inwiefern das für den Inszenierungsstil spricht, sei mal dahingestellt), die großen Massenszenen mit Chor sind eher eindimensional, statisch gelöst (bis hin zur „eingefrorenen“ Szene des Rats-Tumults im ersten Akts – für mich eine vertane Gelegenheit).

Alles in allem hat sich der Besuch sehr gelohnt, der Eindruck, in Meyerbeer einen neuen Bewohner im musikalischen Hausaltar gefunden zu haben, hat sich weiter verfestigt. Ich freue mich bereits auf unsere nächste Begegnung und hoffe, daß sich weitere Häuser der Pflege dieser Beziehung annehmen werden.

PS: Im Gegensatz zum Erfurter Robert scheint die Afrikanerin den Geschmack der Würzburger zu treffen, die Vorstellung war nahezu ausverkauft und umjubelt – wie ich von meiner Nebensitzerin hörte, sei die Produktion sehr beliebt. Geht doch!


Giacomo Meyerbeer – L’Africaine
Musikalische Leitung – Enrico Calesso
Inszenierung – Gregor Horres
Bühne und Kostüme – Jan Bammes
Choreinstudierung – Markus Popp
Dramaturgie – Christoph Blitt

Don Pédro – Johan F. Kirsten
Don Diego / Oberpriester – Paolo Ruggiero a.G.
Inès – Nathalie de Montmollin
Vasco de Gama – Paul McNamarra a.G.
Don Alvar – Yong Bae Shin
Großinquisitor – Jörn E. Werner a.G.
Nélusko – Adam Kim a.G.
Sélika – Karen Leiber
Anna – Anneka Ulmer
Ratsdiener – Kenneth Beal
Priester – Deuk-Young Lee
Matrose – David Hieronimi

Opernchor, Extrachor und Komparserie des Mainfranken Theaters Würzburg
Philharmonisches Orchester Würzburg



20. November 2011

Hamburger Symphoniker – Michael Francis.
Laeiszhalle Hamburg.

19:00 Uhr, Parkett rechts, Reihe 20, Platz 14


Edward Elgar – Froissart Konzertouvertüre
Franz Liszt – Die Ideale

(Pause)

Ludwig van Beethoven – Klavierkonzert Nr. 5 (Yevgeny Sudbin)

Zugabe: ???



Ein Konzert der Kategorie „Kann man machen“. Das Orchester klingt mittlerweile auch ohne seinen Chef wunderbar, wobei Tates Klasse dem Abend sicher gut getan hätte. Herr Francis fuchtelt ungestüm – wogegen nichts einzuwenden wäre, wenn seine stereotypen Heumacher Wirkung gezeigt hätten. Nun gut, die Werke der ersten Konzerthälfte trugen auch wenig zur Erbauung bei. Elgar brav belanglos, Liszt zäh ermüdend. Der Programmheft-Titel „Ideale Klassik“ gerät so unfreiwillig komisch.

Natürlich hat's der gute Beethoven nach der Pause wieder rausgerissen. Sudbin wartet mit ausgesprochen flüssigem, temporeichem, perlendem Spiel auf, alles ist leicht und flink – mir liegt jedoch ein, sagen wir mal, energischerer, wuchtigerer Zugang näher. Ein zarter Anschlag befindet sich durchaus in seinem Arsenal, wird jedoch kaum oder nicht an den meiner Ansicht nach erforderlichen Stellen eingesetzt (insbesondere zweiter Satz).

Technisch sicher auf höchstem Niveau, packt mich diese Interpretation nicht wirklich. Die Zugabe macht noch einmal deutlich, worin Sudbin offenbar selbst seine Stärken sieht: schnelle Läufe. Schon schön anzuhören, mehr aber auch nicht. Womit das Motto des Abends gefunden wäre.

NDR Sinfonieorchester – Manfred Honeck.
Laeiszhalle Hamburg.

11:00 Uhr, 1. Rang links, Loge 8, Reihe 2, Platz 8


Arvo Pärt – Cantus in memoriam Benjamin Britten
Wolfgang Amadeus Mozart – Klavierkonzert KV 467 (Rudolf Buchbinder)
Zugabe: Ludwig van Beethoven – Klaviersonate Nr. 8 „Pathétique“ (Finale)

(Pause)

Pjotr Iljitsch Tschaikowsky – Sinfonie Nr. 6 „Pathétique“



Die erste Hälfte des Konzerts ist rasch besprochen: Pärt ist und bleibt ein Langweiler, Mozart ödet wie eh und je, Buchbinder ist ein vorzüglicher Solist. Das wirkliche Ereignis des Konzerts aber ist Honeck, der das NDR SO im Tschaikowsky zu einer atemberaubenden Interpretation peitscht.

Sicher sind die Vorzüge des Österreichers schon in der Bildung des Streicherteppichs bei Pärt und im differenzierten Mozart-Konzert zu vernehmen, richtig Spaß macht das Ganze allerdings dann in der Kombination mit einer Musik, die ihn die ganze Palette orchestraler Möglichkeiten ausbreiten läßt.

Dabei treten erfreulicherweise die gleichen Eigenarten hervor, die Honeck bereits in den letzten Begegnungen auszeichnete: eine enorme dynamische Bandbreite, starke Kontraste in den Tempi, insbesondere ein soghaftes Anziehen des Tempos bei Steigerungen, Ausdruck, wie er differenzierter kaum sein könnte, von unerbittlich knackig bis entrückt elegisch. Honeck führt das brave Orchester zur Spitzenleistung, entlockt ihm die entsprechenden Klangfarben, befeuert im Wortsinne.

Sicher, gewisse Schwächen des Orchesters kann er als Gast nicht vollständig abstellen (Hörner und Trompeten sind einfach nicht ideal), aber diese Umstände werden zu Details degradiert, die das große Ganze nicht einzutrüben vermögen. Seit langem endlich mal wieder ein begeisterndes Konzert mit dem NDR dank des fulminanten Zugangs Honecks. Bitte möglichst häufig wieder einladen! Für mein Empfinden einer der vielseitigsten, spektakulärsten, schlichtweg besten Dirigenten überhaupt.

6. November 2011

Staatsorchester Stuttgart – Hartmut Haenchen.
Liederhalle Stuttgart.

11:00 Uhr, Parkett Eingang B, Reihe 8, Platz 38


Richard Wagner – Tannhäuser-Ouvertüre (1845/61)
Bernd Alois Zimmermann – Sinfonie in einem Satz (1947–53, 2. Fassung)


(Pause)

Anton Bruckner – Sinfonie Nr. 3 d-Moll (1873/77/91, 3. Fassung)



So schmucklos der Empfang durch die angegraute, biedere Liederhallen-Architektur auch ausfällt, ziehen mich das Orchester und die sehr brauchbare Saalakustik doch gleich von den ersten Takten an in ihren Bann. Fällt in der Tannhäuser-Ouvertüre vor allem die butterweiche, feinst intonierende Hörnergruppe auf, zeigt sich spätestens in der Klang-Achterbahn der Zimmermann-Sinfonie, aus welchem Holz das Staatsorchester Stuttgart geschnitzt ist. Ein Klangkörper ersten Ranges, der sich in dieser Form mit den Spitzenvertretern im deutschen Opernwesen messen kann und manches große Rundfunkorchester bei Weitem überflügelt.

Hinzu kommt mit Hartmut Haenchen ein Dirigent, der die Möglichkeiten in punkto Differenzierung auszuloten weiß. In allen drei Werken wartet er mit einer nuancierten Dynamikregelung auf und läßt dabei weder Biss noch Schmelz vermissen. Das Ergebnis sind ausgesprochen feine, jedoch gleichermaßen knackige Interpretationen, die meinem Faible, sich an Aufbau und Struktur eines Werkes zu erfreuen, sehr entgegenkommen.

Bei der Tannhäuser-Ouvertüre möchte ich neben der Realisierung eines gleichsam transparenten wie reichhaltigen Klangbildes vor allem das äußerst breit angelegte finale Posaunenthema hervorheben, das eine sehr starke Wirkung erzielte. Die Interpretation der Zimmermann-Sinfonie möchte ich als ideal für den Erstkontakt bezeichnen – ein Werk, das mich auf Anhieb angesprochen hat. Zartes steht neben Schärfstem, über allem schwebt ein Drohen, das einnimmt. Bruckners Dritte gehört nicht zu meinen Lieblingen, die Darbietung läßt aber auch hier nichts zu wünschen übrig.

Noch einmal zum Orchester. Alle Instrumentengruppen sind wunderbar. Die Streicher warm, die Holzbläser allesamt zart, das Blech mit vollem Pfund, die Hörner phänomenal in ihrer Ansatzlosigkeit. Es hatte sich ja schon gestern in der Oper angedeutet, unter den heutigen, akustisch klareren Bedingungen bleibt kein Zweifel, daß man in Stuttgart erstklassig beschallt wird.

Leider scheint nur der Stuttgarter an sich es dabei nicht belassen zu können, er muß selbst akustisch wirken – man schwätzt. Offenbar gern und häufig, zudem ist mir seit diesem Besuch bewußt geworden, daß auch die Vortragsanweisung „Flüstern“ landläufigem Interpretationsspielraum unterworfen ist.

5. November 2011

La damnation de Faust – Kwamé Ryan.
Staatsoper Stuttgart.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 137


Das Stuttgarter Staatstheater ist baulich eine Augenweide. Alles prangt in originalem (bzw. rekonstruiertem) Glanz. Wobei dieser Glanz von ganz anderer Sorte als gewöhnlich ist, die Farbgebung weicht doch sehr von allem mir Bekanntem ab. Im Saal dominieren nicht wie so häufig Rot und Gold, sondern eine Art Senfton an den Wänden und eine recht düstere Metalloptik, die mich an Blei erinnert. Diese Kombination hat was, ungewöhnlich, aber sehr interessant, weniger festlich als vielmehr ernst und erhaben. Mir gefällt’s.

Aber viel wichtiger: Die Akustik gefällt gleichermaßen. Die Sänger sind jederzeit von jeder Position aus sehr gut zu vernehmen, das Orchester ist vielleicht etwas zurückgenommen, der Klang ist aber sehr homogen, ausgesprochen warm und weich.

Das Orchester klingt sehr gut und wird von Kwamé Ryan mehr als ordentlich durch den Abend geführt. Es gibt durchaus Passagen von eindringlichster musikalischer Wirkung, die Gesamtleistung würde ich mit sehr gut benoten. Die drei Hauptrollen sind (stimmlich) stark besetzt, auch das Spiel überzeugt weitestgehend. Wobei das Pendel durchaus in beide Richtungen ausschlägt (Zum Teil overacting von Faust, durchweg starke Auftritte von Mephisto).

Die Inszenierung fußt auf der Anprangerung der aktuellen Lage in Ungarn, was anfangs irritiert bis abschreckt, im Gesamtbild jedoch durchaus seine Kraft entfaltet. Das „Böse“ im Menschlichen, im Alltäglichen, die Sehnsucht nach Abkehr von den inneren und äußeren Dämonen, all das wird als Teil des Faust-Stoffes sinnhaft behandelt. Phantasievolle Bühnenbilder, z.T. kombiniert mit Filmprojektionen, geben dem Ganzen einen wirkungsvollen Rahmen. Hervorheben möchte ich hier die wehmütige Idylle der Traumszene Fausts, in der ihm schließlich Gretchen erscheint – ein wunderbares Zusammenwirken der musikalischen sowie visuellen Stimmung.

Daß Dirigent, Regisseurin, Intendant und Sänger nach der Vorstellung für ein Publikumsgespräch zur Verfügung standen, um das – sicher von vielen als schwer verdaulich empfundene – Erlebte zu erörtern, ist ein weiterer Punkt, der für das Engagement und die Qualität des Hauses spricht. Ein perfekter Abend.


Hector Berlioz – La damnation de Faust
Musikalische Leitung – Kwamé Ryan
Regie – Andrea Moses
Bühne und Kostüme – Christian Wiehle
Licht – Reinhard Traub
Chor – Michael Alber
Dramaturgie – Thomas Wieck

Marguerite – Maria Riccarda Wesseling
Faust – Pavel Cernoch
Méphistophélès – Robert Hayward
Brander – Mark Munkittrick

Staatsopernchor Stuttgart
Staatsorchester Stuttgart

25. Oktober 2011

Le Cercle de l'Harmonie – Jérémie Rhorer.
Laeiszhalle Hamburg.

20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 16


Wolfgang Amadeus Mozart – Vesperae solennes de confessore KV 339

(Pause)

Wolfgang Amadeus Mozart – Große Messe c-Moll KV 427


(Sylvia Schwartz – Sopran, Caitlin Hulcup – Mezzosopran, Rainer Trost – Tenor, Nahuel di Pierro – Bass, les éléments (Chor))



Nachdem ich mit den schwersten Bedenken in das Konzert gezaudert bin – das Programm mir gänzlich unbekannt und ausschließlich Mozart – war es ein wider Erwarten aushaltbarer Abend. Was weniger an Mozart, als an der beseelten Aufführung lag. Da läßt sich nicht meckern. Das Orchester agiert tadellos, der Streicherklang ist natürlich „altersbedingt“ etwas spröde, das Blech hingegen, insbesondere die Posaunen, klingt überraschend voll.

Weder an Dirigat, noch Chor, noch den Solisten ist etwas auszusetzen. Nun gut, die Solisten firmieren sicher nicht unter dem Prädikat Weltklasse, aber Frau Damrau und Kollegen können sich ja nun mal nicht ausschließlich nach meinem Konzertkalender richten.

Mozarts Vesper hält bis auf das Laudate dominum nichts für meine Ohren bereit. Die Messe beginnt verheißungsvoll mit dem Kyrie, um dann – weitestgehend – auf sicher höchstem kompositorischen Niveau an mir vorüber zu plätschern. Auch hier ist das Sopransolo nicht ohne Reiz, interessant auch die Wirkung des unmittelbar daran anschließenden Choreinsatzes. Unter dem Strich jedoch nichts, mit dem ich mich „freiwillig“, also losgelöst von meinen Abo-Fesseln, beschäftigen müßte.

Randnotiz: Als Solistin kann man durchaus unabsichtlich Applaus „provozieren“...

15. Oktober 2011

Hamburger Symphoniker – Andrew Litton.
Laeiszhalle Hamburg.

19:00 Uhr, Parkett rechts, Reihe 6, Platz 15, nach der Pause Reihe 12, Platz 15 links


Benjamin Britten – Klavierkonzert (Barry Douglas)

(Pause)

Sergei Prokofjew – Sinfonie Nr. 7



Ein schöner, recht kurzer Konzertabend mit einer starken ersten und einer geruhsamen zweiten Hälfte. Litton ist das Klavierkonzert schön straff und knackig angegangen. Barry Douglas Interpretation ging ebenfalls in diese, das perkussive, rhythmische Element betonende Richtung. Daß die ein oder andere Feinheit des Stückes in diesem Elan etwas unterging, ist leicht zu verschmerzen. Zu einem guten Teil hängt dieser Eindruck sicher auch mit der direkten, aber auch inhomogenen Akustik so weit vorn im Parkett zusammen.

Da ist das Klangbild beim Prokofjew in Reihe 12 deutlich ausgewogener – aber weit weniger „anfassend“. Angefasst hat mich die Sinfonie beim ersten Hören ohnehin nicht besonders. Einige Romeo und Julia-Reminiszenzen wecken wehmütige Erinnerungen an „das Original“. Der Schluß mit seinem Bläsersatz und „Herunterticken“ ist nicht uninteressant.

2. Oktober 2011

Palestrina – Simone Young.
Staatsoper Hamburg.

18:00 Uhr, Parkett links, Reihe 2, Platz 15


Vorspiel ausinszeniert, der gebrochene Palestrina. Nur Palestrina ohne Schminke. Weiße Möbel, Federkiele, Noten, zentralperspektivisches Bühnenbild, schwarz und weiß bis zur Erscheinung der Engel, dann grün. Bedrückende Stimmung, Palestrina trinkt, hat sich aufgegeben. Tonsetzer maskenhaft, scherenschnittartig, Gesten, fratzenhaftes Lachen (stumm), Darstellung der Epochen (stilisiert).

Lukretia-Maske alles andere als albern, sehr anrührend, Augenaufschlag, gütig. Einzelner Engel setzt sich auf die Wand, anrührend, beschützend, kindlich. Der Umgang mit dem Notenpapier: zerknüllen, reichen, drohen, am Ende sortieren (Messe).Erscheinen des Kommandos sehr passend zur bedrohlichen Musik, tolle Kostüme, gesichtslos.

Insgesamt: Top Personenregie, Dialoge, Interaktion. Silla kommt gut als junger, aufsässiger Komponist rüber. Sänger: Palestrina wunderbar, lyrisch, deklamatorisch, heldisch, strahlend, Ausdruck. Borromeo: gute Stimme, schöne Klangfarbe, könnte mehr Volumen haben, darstellerisch gut. Silla gesanglich ok, etwas keifig, szenisch gut. Ighino Top, wunderbar lyrisch, zart, sensibel, im Zusammenspiel mit der sensiblen Orchesterführung phänomenal. Tonsetzer alle stark, ebenso Engel, Solisten, Lukretia, Chöre top.

Orchester bärenstark, perfekt geführt, unglaublich sensibel, nicht immer breit, aber mächtig, wo es sein muß. Und vor allem zart, lyrisch, differenziert. Leiseste Wucht, dunkelste Klangfarben, Young macht ernst, Akustik wunderbar. Grüblerisch, melancholisch, bittersüß. Trifft ins Mark, sehr tiefgehend, absolut Berlin oder München-Niveau. Streicher zartest, Blech satt und drohend, Klangfarben! Ausbruch des Kardinals!

2.Akt
Inszenierung beim Vorspiel etwas statisch, Leute stehen etwas unmotiviert rum ... Starke Inszenierung, dennoch schwächer als Frankfurt. An den Knackpunkten weniger zwingend: Lunas Lutheraner-Einladung, die Zusammenschießung der Parteien, die Wucht des Konzils, der Budoja-Scherz. Aber insgesamt alles auf sehr gutem Niveau. Schwarz, weiß, pink. Schikane von Sacher ggü. Borromeo schön deutlich, fehlender Stuhl, geleertes Weinglas. Stühlerücken in Ffm deutlicher. Schön: auftreten Morone von rechts, Sacher von links (Proszenium). Weihe Morones sehr eindrucksvoll.

Am Anfang sind Engel da, verschwinden aber vor dem Konzil. Aufwändige Kostüme, gute Interaktion der einzelnen, Tornisterfraktion urig, Fotoapparat, Touristen. Orchester nicht ganz so konzentriert, Dirigat hätte noch griffiger, schärfer sein können, aber insgesamt gut. manche Tempi ungewohnt. Ketzer werden vorgeführt - guter Einfall. Sänger: Sacher überraschend stark (stimmlich) darstellerisch eh sehr gut, alle Beteiligten gut, Luna aber deutlich zu schwach (Höhepunkt), Koch mit Abstand am besten, Wut, Eifer, Drohung, Autorität, Morone mit „kurzer“ Stretchlimo.

3.Akt
Vorspiel: inszenierte Rückkehr Palestrinas, wird von den Soldaten (unsanft) zurückgebracht. Ighino kümmert sich um ihn, Waschung, Christusbild.
Farbsynthese: grün und pink (mit schwarz). Sänger in Pink, gesichtslos, Jesusbild, Palestrina als Schmerzensmann der Musik (Lorbeerkranz von Ighino). Papstkarosse als Überstretchlimo. Papst als Puppe, Marionettenmund, Analogie zu Lukretia? Morones Kniefall. Ighinos Silla-Beichte. Saccas Schlußmonolog nicht so eindrucksvoll. Dann: Verdämmern des Retters der Musik, Tod.

Fazit: 1. Akt deutlich am stärksten, insgesamt ein sehr guter Abend.


Hans Pfitzner – Palestrina
Musikalische Leitung – Simone Young
Inszenierung – Christian Stückl
Bühnenbild und Kostüme – Stefan Hageneier
Licht – Michael Bauer
Chor – Florian Csizmadia
Spielleitung – Anja Krietsch

Papst Pius IV. – Tigran Martirossian
Giovanni Morone, Kardinallegat des Papstes – Wolfgang Koch
Bernardo Novagerio, Kardinallegat des Papstes – Jürgen Sacher
Kardinal Christoph Madruscht – Tigran Martirossian
Kardinal Carlo Borromeo – Antonio Yang
Kardinal von Lothringen – Wilhelm Schwinghammer
Abdisu, Patriarch von Assyrien – Jun-Sang Han
Anton Brus von Müglitz, Erzbischof von Prag – Moritz Gogg
Graf Luna, Orator des Königs von Spanien – Viktor Rud
Bischof von Budoja – Peter Galliard
Theophilus, Bischof von Imola – Dovlet Nurgeldiyev
Avosmediano, Bischof von Cadix – Jongmin Park
Giovanni Pierluigi Palestrina – Roberto Saccà
Ighino, sein Sohn – Mélissa Petit
Silla, sein Schüler – Marina Markina
Bischof Ercole Severolus – Jan Buchwald
Dandini von Grosseto – Paulo Paolillo
Bischof von Fiesole – Chris Lysack
Bischof von Feltre – Thomas Florio
Ein junger Doktor – Juhee Min
Fünf Kapellsänger von St. Maria Maggiore – Levente Páll, Chris Lysack, Paulo Paolillo, Dovlet Nurgeldiyev, Wilhelm Schwinghammer
Erscheinung der Lukrezia – Juhee Min
Erscheinungen neun verstorbener Meister der Tonkunst – Jun-Sang Han, Dovlet Nurgeldiyev, Chris Lysack, Paulo Paolillo, Moritz Gogg, Thomas Florio, Levente Páll, Wilhelm Schwinghammer, Tigran Martirossian
Drei Engelstimmen – Katharina Bergrath, Trine W. Lund, Gabriele Rossmanith
Spanischer Bischof – Eun-Seok Jang

1. Oktober 2011

Robert le Diable – Samuel Bächli.
Theater Erfurt.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 4, Platz 15















Der schmucklose Neubau befindet sich auf einem großzügigen Platz unterhalb der Zitadelle und bietet in der Tat einen interessanten Kontrast zum ansonsten weitgehend historischen Gepräge der Stadt. Auf den einzelnen Foyer-Ebenen dominiert die äußere Form des Saales, die in der Decke der Bar im Untergeschoß ihren güldenen Abschluß findet. Der Saal selbst bietet eine vorzügliche Akustik.

Das Sängerensemble hat ein gutes, Teilweise sehr gutes Niveau. Das Timing ist nicht immer glücklich, das Dirigat könnte deutlich präziser, ausgefeilter sein. Das würde den Sängern, die z.T. über enormes stimmliches Potenzial verfügen, sicher helfen, eben dieses Potenzial besser zur Geltung zu bringen. Ein Beispiel dafür ist der erste Auftritt der Alice, bei dem die Lyrik eindeutig zu kurz kommt. Überhaupt wird häufig über schöne Stellen achtlos hinweggaloppiert. Dabei steht dem Dirigenten ein gutes Orchester zur Verfügung, insbesondere das Blech ist sehr schön.

Die Inszenierung ist ambitioniert, tut Meyerbeer aber keinen Gefallen. Zumindest nicht in Erfurt. Der Saal ist mäßig besetzt, das Geschehen stößt offenbar nicht auf Verständnis oder gar Anteilnahme beim Publikum. Schade, ist die Inszenierung doch durchaus plausibel und wartet mit einer sehr individuellen Personenregie auf. Aber ein Irrenhaus als Spielort ist dem Erz-Erfurter offenbar schon zuviel. Tröstlich bleibt allein, daß Meyerbeer zumindest die Liebhaber anlockt, wie ich einigen kurzen Gesprächen entnehmen konnte (Bielefeld, Aachen, Berlin ... und eben Hamburg).

Für mich als Meyerbeer-Neuling interessant: an manchen Stellen wird offenbar aus Rücksichtnahme auf die Sänger „gemogelt“ – den ein oder anderen Spitzenton aus meiner Pariser Aufnahme habe ich vermißt. Darüber hinaus erscheint es mir etwas befremdlich, mitten im dritten Akt die Pause zu setzen, sofern ich da keinen Aussetzer hatte. Das Ballett im Leichenschauhaus mit Zombie-Nonnen ist insgesamt gelungen, krankt jedoch in der Choreografie an einigen allzu deutlichen „Thriller“-Reminiszenzen.

Fazit: Stell Dir vor es ist Robert in Erfurt und keiner geht hin. Schade, schade, schade, an der musikalischen Qualität hat es jedenfalls nicht gelegen. Könnte mir im Prinzip egal sein, wenn mich nicht die Befürchtung beschleichen würde, daß angesichts solcher (Nicht-)Reaktion „Ausgrabungen“ dieser Art womöglich in Zukunft weniger unternommen werden könnten.


Giacomo Meyerbeer – Robert le Diable
Musikalische Leitung – Samuel Bächli
Inszenierung – Jean-Louis Grinda
Bühnenbild – Hank Irwin Kittel
Kostüme – Carola Volles
Choreografie – Eugénie Andrin
Chor – Andreas Ketelhut
Dramaturgie – Dr. Berthold Warnecke

Robert – Erik Fenton
Bertram – Vazgen Ghazaryan
Raimbaut – Richard Carlucci
Alberti – Gonzalo Simonetti
Isabelle – Claudia Sorokina
Alice – Ilia Papandreou
Ein Herold – Dirk Biedritzky
Zeremonienmeister des Königs – Ralf Lindner
Ehrendame – Susann Ventil
Tänzerinnen – Nadia Dagis, Corinna Horvath, Sandra Lommerzheim





29. September 2011

Hamburger Symphoniker – Jeffrey Tate.
Laeiszhalle Hamburg.

19:30 Uhr, Parkett rechts, Reihe 7, Platz 14


Robert Schumann – Szenen zu Goethes „Faust“

Juliane Banse – Sopran

Chen Reiss – Sopran
Anja-Nina Bahrmann – Sopran
Natascha Petrinsky – Mezzosopran
Iris Vermillion – Alt
Steve Davislim – Tenor
Simon Keenlyside – Bariton
Georg Zeppenfeld – Bass
Staatlicher Akademischer Chor „Latvija“
Tölzer Knabenchor



Eigentlich ist es doch beruhigend, gewisse Konstanten im Leben zu wissen und angenommene Entwicklungen bestätigt zu sehen. Es ist ein gutes Gefühl, Jeffrey Tate nach seiner Krankheit wieder am Pult sein wunderbares Orchester beflügeln zu erleben, das unter seiner Gestaltung und mit Hilfe von exzellenten Gesangssolisten eine weitere mustergültige Interpretation eines großen Werkes bietet.

Weniger beruhigend als vielmehr ernüchternd ist jedoch die Konstante, angesichts einer Komposition aus der Feder Schumanns die angesprochene Größe nur in Bezug auf Besetzung und Aufführungsdauer erkennen zu können: selten habe ich mich auf so hohem Niveau gelangweilt. Die Faszination an Schumann erschließt sich mir schlichtweg nicht. Ähnlich Mozart und Mendelssohn mag es zwingende Ausnahmen geben, aber es ist das Grundsätzliche, das Wesen dieser Musik ist mir zutiefst fremd. Als hörte ich eine Sprache eines anderen Kulturkreises, die mich nicht fasziniert, sondern einfach ausschließt.

Einige wenige Momente des Werkes sind mir haften geblieben: Die eigentümliche Kombination von Gretchens Gesang mit dem Dies Irae des Chores, der dämonische Auftritt der Sorge (hinreißend: Chen Reiss), Fausts „Augenblick verweile doch“ und die ein oder andere Kleinigkeit aus dem zweiten Teil. Für meinen Geschmack etwas wenig für zwei Stunden Dauerbeschallung.

Dabei waren mit den Solisten die besten Anwälte für das Werk zugegen, die sich denken lassen: Simon Keenlyside als stimmgewaltiger, aber auch sensibler Faust (evtl. durch eine Erkältung nicht ganz im Vollbesitz seiner Stimmschönheit – in mittlerer bis hoher Lage in gemäßigter bis geringer Lautstärke war die Stimme zuweilen brüchig). Georg Zeppenfeld – meine hohen Erwartungen wurden noch übertroffen – als nachtschwarzer Mephisto (perfekte Diktion, genialer Ausdruck, beeindruckendes Volumen). Chen Reiss als Krone des starken Damenquartetts (silbrig, kristallen; als Sorge stellte sie ihr dramatisches, dämonisch-verführerisches Talent unter Beweis). Dazu ein guter Tenor und eine sehr gute Juliane Banse (deren Stimme mir persönlich allerdings nicht so liegt), ergänzt durch solide Chöre. Kurz: an den Ausführenden lag es nicht, daß mich das Werk vollkommen kalt ließ.

Mir erscheint das alles so unendlich brav, so vorhersehbar, so unfordernd. Harmonisch ist da nichts, das mich faszinieren würde, alles bleibt hübsch in schulmeisterlich-klassischen, biederen Bahnen. Selbst die größten Steigerungen verpuffen – laute Musik, na und? Ich habe da immer einen Schumann im Kopf, der spricht: „jetzt wollen wir aber recht tüchtig auf den Putz hauen!“ Und das Ergebnis: gebremster Schaum. Mit domestizierter Leidenschaft kann ich nichts anfangen, ich erbitte mir in solchen Fällen Ekstase.

Und was genau möchte Schumann eigentlich? Opernszenen? Ein Oratorium? Eine Kantate? Von allem ein bißchen? Einzig in den bereits angesprochenen „dunklen“ oder lyrisch entrückten Momenten kann ich ihm (bedingt) folgen, ähnlich dem 4. Satz der „Rheinischen“. So oder so ist mir das zu wenig, da gibt es andere, lohnendere Pfründe der musikalischen Ernährung – bei der Beschäftigung mit Schumann fürchte ich doch langfristig das Auftreten von Mangelerscheinungen.

Nach dem Konzert zeigte sich Keenlyside vom Werk sehr begeistert, lobte vor allem den Ansatz „richtigen“ Goethe vertont zu wissen – im Gegensatz zu Berlioz und Gounod. Auch Reiss und Zeppenfeld schwärmten von dem Stück. Vielleicht haben sie ja den Schlüssel, den ich bislang vergeblich gesucht habe.

28. September 2011

Rotterdams Philharmonisch Orkest – Yannick Nézet-Séguin.
Laeiszhalle Hamburg.

20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 16


Wolfgang Amadeus Mozart – Konzert für Violine und Orchester G-Dur KV 216 (Veronika Eberle)
Zugabe: Sergej Prokofjew
Sonate für Violine solo D-Dur op. 115 (2. Satz: Thema und Variationen: Andante dolce)

(Pause)

Anton Bruckner – Sinfonie Nr. 8 c-Moll (Robert Haas)



Wird Herr Nézet-Séguin allen Ortens schon als neuer Stern am Dirigentenhimmel gepriesen, kann ich nach dem heutigen Abend nur bedingt in diesen astrologischen Chor einstimmen. Mein schlichtes Fazit: ein guter Dirigent mit seinem guten Orchester (nebst guter Solistin) sorgt für ein gutes Konzert – nicht mehr und nicht weniger.

Im Einzelnen: Das Orchester ist nicht schlecht, besitzt allerdings in keiner Instrumentengruppe etwas, das es in meiner Wahrnehmung besonders hervortreten ließe. So entsteht ein ordentlicher, ein guter Klang - aber eben kein außerordentlicher. Auch der Solistin im Mozartkonzert läßt sich nichts vorwerfen, außer daß mich ihr Ton Mozart eben nicht näher gebracht hat. Es geht nun mal zarter, virtuoser, geschmeidiger ...

Nezét-Séguins Mozartinterpretation gibt mir nichts. Sie erwärmt mich nicht für eine Musik, zu der ich ohnehin kaum Zugang besitze. Sein Bruckner ist nicht schlecht, in jedem Fall gestaltet und nicht nur abgespult, aber auch keine Offenbarung. Wie gesagt, sicher ein brauchbarer Mann, jedoch in meinen Augen kein Überflieger. Jugend allein ist keine Auszeichnung, auch wenn sie offenbar beim Publikum gut ankommt.

26. September 2011

John Malkovich: The Giacomo Variations.
Staatsoper Hamburg.

20:00 Uhr, Parkett rechts, Reihe 9, Platz 20


Die Erkenntnis des Abends: Massenmord steht mir als Konzept eindeutig näher als Vielweiberei. Der vermeintlich größere Unstern, der als unheilvolles Signum über, vielmehr vor dem Gelingen des Abends stand, war die in Aussicht stehende Speisung aus rein mozartscher Quelle. Bedenkt man diese erschwerten Bedingungen, kann ein wunderbarer Abend konstatiert werden – der allerdings dem Erlebnis im Schauspielhaus leider nachstand, nachstehen mußte.

War Malkovich in „The Infernal Comedy“ noch Dreh- und Angelpunkt des Stücks, agiert er hier mehr in das Ensemble integriert, gewissermaßen als erster unter gleichen. Dies kommt der ganzen Struktur des Stückes zugute, das deutlich runder, homogener daherkommt – auch in der szenischen Einbindung der musikalischen Partien. Doch eben diese Homogenität birgt die Gefahr einer gewissen Glätte, wie sie beim Unterweger-Ego-Trip nie zu befürchten war. Sicher, auch dieses Stück bietet Malkovich eine Bühne für all das, was die Zuschauer an ihm kennen und lieben und sehen wollen. Diese Momente treten hier allerdings deutlich dosierter zu Tage.

Die durch Malkovich Unterweger in den Mund gelegte unverblümte Offenheit mit der selbst produzierten und erwünschten doppelbödigen Wirkung auf andere, das permanente Spiel Malkovichs mit der Erwartungshaltung seines durch seine Rollentradition geprägten Publikums – all das ist in dieser Form im Giacomo nicht Hauptthema, nicht in dieser monologischen Form. Sicher, das Prinzip ist ähnlich, ob Malkovich in seinem Metier als Psychopath oder in Anbindung an seine Rolle des Valmont Reminiszenzen wachruft – in beiden Fällen darf er genüsslich drangsalieren, ausrasten, Monologe halten, mit einer Mischung aus Staunen und Entrückung schauen oder betont beiläufig die wuchtvollsten Dinge sagen. Nur, daß nach meinem Empfinden in der Infernal Comedy absolut kein Hehl daraus gemacht wurde, Malkovich eine möglichst breite Spielwiese bieten zu wollen. Wie gesagt, der Struktur des aktuellen Stücks hat diese Entegomanisierung gut getan – es hat diesmal eine.

Aber genug davon und nun zum Abend im Detail. Schon der erste Blick auf das Bühnenbild, der gleich mit dem Betreten des Saales gewährt wird (es wird komplett auf den Gebrauch des Bühnenvorhangs verzichtet), hält eine mehr als deutliche Anspielung auf das Kommende bereit: Drei Pavillon-ähnliche Séparées in der Form riesenhafter, überzeichneter Reifröcke, unter deren ausladenden Vorhang-Hüften verschiedene Räume angedeutet werden können. Die beiden äußeren Lauben sind zudem auf Rollen dreh- und verschiebbar, die zentral postierte, größte, fungiert als Schlafzimmer. Etwas Mobiliar und wenige Requisiten schaffen Giacomos Schreibstube in der rechten Laube und verorten das Geschehen – abgesehen von den prächtigen Gewändern – in der Zeit des Herzensbrechers. Zudem wird mittels Lichtregie die Atmosphäre ggf. verändert.

Das Stück beginnt gleich mit einem Knalleffekt. Malkovich erleidet auf der Bühne eine Herzattacke, die ihn zu Boden streckt, wobei bewusst damit gespielt wird, ob hier nur „gespielt“ oder tatsächlich gestorben wird. Nicht wenige im Saal erlagen dieser Ungewißheit, genährt von besorgten Blicken aus dem Orchestergraben und hastig aus dem Publikum zu Hilfe Eilenden – bis die Sopranistin im Arztornat des Rokoko per Elektroschockbehandlung Hand an den aufgebahrten Herren legt.

Eine Slapstick-Einlage später ist der Gute wieder auf den Beinen. Schon hier zeigt sich das musikalische Konzept des Abends: Die „Krankenbehandlung“ wird als darstellerische Plattform für eine Mozartsche Szene genommen. Dieses Prinzip zieht sich durch den Abend, wobei die (musikalischen) Szenen durch die Einbindung in andere Zusammenhänge – immer bezogen auf das Leben Casanovas, seien es „aktuelle“ Gedanken oder Erinnerungen – zum Teil deutliche „Uminterpretationen“ erfahren, ohne daß ein Wort der Arie, des Terzetts usw. geändert worden wäre.

Das Ensemble machte seine Sache sehr gut, wobei auch hier der „demokratische“ Ansatz der Produktion deutlich wird. Während die beiden Sänger auch als Schauspieler agieren, kommen Malkovich und seine Schauspielkollegin auch beim Gesang zum Zuge, zumeist in unterstützender Form bei Terzetten/Quartetten. Natürlich ist Malkovich kein Opernsänger, darum geht es auch gar nicht, vielmehr geht es um die Realisation von Konflikten, Unterredungen usw. im dramatischen Gefüge. Opernminiaturen, die gewissermaßen das Leben Casanovas illustrieren, wechseln mit Schauspiel, beides bildet eine Einheit, das vorliegende Stück ist Musiktheater im Wortsinne.

Sophie Klußmann besitzt nicht nur einen wunderbaren, zarten Sopran, der mit ihren lyrischen Momenten für die musikalischen Höhepunkte des Abends sorgt, sondern Kraft ihrer Anmut und Ausstrahlung auch enorme darstellerische Intensität. Florian Boeschs Bariton ist mehr als brauchbar, darstellerisch gibt er mit viel Freude am Spiel die jugendliche Inkarnation Casanovas und diverse andere Herren.

Das Stück ist reich an starken Momenten, musikalischer wie darstellerischer Art. Ob es nun die Schauspielerin ist, deren Tränen ihre verzweifelten Vorwürfe gegenüber Giacomo fast ersticken lassen, oder die Sopranistin, die sich unter zartestem Gesang dem Liebhaber hingibt, oder Casanova selbst, der am Schluß in einem zerbrechlichen, wenn nicht gebrochenen Duett mit seinem Alter Ego von der Bühne abgeht.

Dabei wird beileibe nicht nur Feinsinniges geboten, es ist durchaus Platz für Klamauk – der vom Publikum entsprechend honoriert wird. Es ist doch so: Anzüglichkeiten, sexuelle Anspielungen und der gemeine Schenkelklopfer verfehlen offenbar bildungs- und ständeübergreifend nicht ihr Ziel.

Gern hätte ich an diesem Abend weiter vorn gesessen, die Nähe meines Platzes im Schauspielhaus hat sicher auch seinen Teil zu der insgesamt stärker empfundenen Intensität beigetragen. Bleibt nur zu hoffen, daß Herr Malkovich auch weiterhin dieser Art von Grenzgängertum, dieser Form von Musiktheater, zugeneigt bleibt und man auf neuerliche Besuche hoffen darf.


John Malkovich – Giacomo
Ingeborga Dapkunaite – Elisa
Sophie Klußmann (Sopran) – Elisa II
Florian Boesch (Bariton) – Giacomo II
Wiener Akademie – Martin Haselböck

11. September 2011

Kammermusik im Foyer – Hindemith-Quartett.
Oper Frankfurt.

11:00 Uhr, freie Platzwahl


Anton Webern – Langsamer Satz
Joseph Haydn – Streichquartett D-Dur op. 76 Nr. 5
Claude Debussy – Streichquartett


(Ingo de Haas – 1. Violine, Joachim Ulbrich – 2. Violine, Thomas Rössel – Viola, Daniel Robert Graf – Violoncello)



Webern: tonal gehaltener, spätromantischer Satz versonnener Stimmung (vgl. „Im Sommerwind“). Haydn: Haydn halt. Debussy: starkes, abwechslungsreiches (pizzicato-Elemente 2. Satz) Werk mit einem ausgesprochen innigen 3. Satz, der mich musikalisch und dem Gehalt nach am meisten anspricht.

Alle Werke werden mit entsprechendem Einsatz und Ausdruck wiedergegeben, minimale Intonationseintrübungen hier und da können das durchweg gelungene Konzert nicht schmälern.

10. September 2011

Die tote Stadt – Erik Nielsen.
Oper Frankfurt.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 12














Gute, kompakte, wenn auch etwas steif abgelesene Einführung, die alle wesentlichen Punkte knapp zusammenfaßte (Inhalt des Werks, Vita des Komponisten, Inszenierung, Vorstellung der Sänger der Hauptpartien). Nette Unterhaltung mit meinem Alter Ego in 30, 40 Jahren: heute war sein 105. Konzert- bzw. Opernbesuch in diesem Jahr!

An diesem Abend hätte ich doch gern etwas weiter vorn gesessen. Die nicht unbedingt kleinen Stimmen (Fritz) sind mir heute zu fern, zu distanziert. Werde mir noch mal meine Platzhistorie in Frankfurt zu Gemüte führen. Wahrscheinlich gibt es „den“ Platz einfach nicht. Trotzdem insgesamt ausgewogenes, harmonisches Klangbild.

Die Oper Frankfurt schafft es immer wieder, einfach stimmige Produktionen auf die Bühne zu bringen. Ich kann mich gerade nicht an einen wirklichen Reinfall erinnern – im Gegenteil, manch besonders starke Opernerlebnis hatte ich in Frankfurt (Palestrina, Fausts Verdammnis, Der Zwerg ... und natürlich alles überragend Death in Venice). Daß es heute nur zu einem guten Abend reicht, liegt wie so oft eher im Detail, als am Gesamtkonzept. Die wunderbare Inszenierung trifft dabei diesmal keinerlei Mitschuld.

Das Orchester ist gut aufgelegt, leistet sich keine nennenswerten Schwächen, wird aber – und hier sehe ich das Hauptmanko des Abends – von Herrn Nielsen nicht genug befeuert. Insbesondere die geradezu auf Messers Schneide angelegten Zerreißproben zwischen Paul und Marietta geraten mir allem Getöse zum Trotz zu harmlos, zu brav. Da muß der Furor einfach Funken aus dem Orchestergraben schlagen. Schlägt er aber nur bedingt.

Die Sängerschar ist durchweg stark besetzt, aber auch hier fehlt mir das letzte Quäntchen zum Glück. Burkhard Fritz als Paul ist stimmlich wie darstellerisch eine gute Wahl. Sein Tenor spielt immer dann seine Stärke aus, wenn er strahlen darf. Aber Paul strahlt nur von Zeit zu Zeit. Darüber hinaus sehnt er, fleht er, verzehrt er sich. Gerade das Zärtliche, Zerbrechliche kommt mir bei Fritz angesichts seiner Stimme, die zwar frisch und jung ist, aber in letzter Konsequenz keine wirklich lyrische Facette besitzt, in der Ausgestaltung des Paul zu kurz. Dennoch bin ich froh, solch einen versierten Sänger als meinen „Erstpaul“ zu erleben.

Die Sängerin der Marietta bzw. Marie, Nicola Beller Carbone, hinterläßt bei mir einen gemischten Eindruck. Sie besitzt eine gute, wenn auch keine überragende Stimme, schwingt sich jedoch teilweise zu sehr intensiven Momenten auf. Intensiv durch und durch ist hingegen ihre Darstellung der Marietta. Ihre anmutigen Bewegungen stellen nie in Zweifel, daß es sich bei Marietta (und sie selbst?) um eine wahrhaftige Tänzerin handelt. Sie ist die eigentlich starke Persönlichkeit des Abends. Der Sänger des Frank, der auch den Pierrot übernimmt, ist stimmlich wie szenisch eher unauffällig.

Den Lorbeer des Abends trägt kein Darsteller, sondern die Inszenierung davon. Wie schon angesprochen wieder mal ein gelungenes Gesamtpaket in Frankfurt. Angefangen beim stimmigen, dienlichen Bühnenbild mit seinen Lamellen, die Pauls Behausung für die realen oder traumhaften Erscheinungen Brügges öffnen und dem alles beherrschenden Kubus seines Totenkultzimmers. In diesem ebenfalls durch Lamellen verschließbaren Raum sind die Reliquien seiner Frau arrangiert, deren Abbild sich nicht auf Fotografien, sondern mehreren, von der Decke hängenden Flatscreens zeigt – sofern Paul sie mittels Fernbedienung wieder zum Leben erweckt.

Paul selbst erscheint, in seinem reduzierten Anzug und mit Glatze, wie ein Mönch in seinem Privatkloster, das er zur Anbetung seiner verstorbenen Gattin errichtet hat. Die stets aufnahmebereite Videokamera auf dem Stativ unterstreicht Pauls Konservierungsobsession, die er an Marietta aufs Neue auszuleben versucht. Diese bricht mit ihrem geblümten Mantel auch optisch in seine Welt ein. Ihr rotes Kleid bleibt als zentrales Bild allgegenwärtig, ob in der Erscheinung der mahnenden Toten oder schließlich im dritten Akt in der multiplen Erscheinung der greisen Marie(n).

Besonders wirkungsvoll gerät besagte Erscheinung Maries im ersten Akt, die durch eine Videoprojektion wahrhaft soghaft suggestiven Charakters unterstützt wird. Wobei es sich „nur“ um Zeitlupenaufnahmen der Sängerin handelt, wie sie sich dem Betrachter durch einen dunklen Gang nähert bzw. wieder entfernt, abgewechselt mit Nahaufnahmen in denen sie mal lächelt, mal ernst blickt, in Bezugnahme auf Pauls höchste Reliquie – eine Strähne – ihr Haar kokett-verträumt fliegen läßt. In Kombination mit spiegelbildlichen Überlagerungen, Mehrfachbelichtungen ihres Gesichts ergibt sich zusammen mit der zum Zerreißen gespannten Musik die Verbildlichung von Pauls surrealem (Alb-)Traum.

Gleichsam dieser (Innen-)Welt entsprungen scheinen die bizarren Erscheinungen der Nonnen, der Gaukler und der Heiligen im späteren Verlauf der Oper. Der Brückenschlag zwischen der bis zum Äußersten getriebenen Jenseits- und Frömmigkeits-Selbstzerfleischung Pauls und der burlesken, todeswissenden Welt der Gaukler gelingt zum einen durch die grotesken Kostüme, zum anderen in der Betonung des Robert-der-Teufel-Intermezzo als Sinnbild für Pauls Situation. Ist Marietta Verderberin oder (potentielle) Erlöserin?

Am Schluß seines (Selbst-)„Exorzismus“, bei dem nicht er, sondern die greisenhaften Marie-Erscheinungen Marietta „töten“, sie in ihr Reich ziehen, weiß er, daß er fort muß. Er schließt jeder der nun leblosen Marie-Klone die Augen und verläßt mit seinem Freund endgültig das Mausoleum, das er aus seiner Wohnung gemacht hatte, ebenso wie er Marietta verläßt, bevor er sie – über seine unheilvolle Vision hinaus – im wirklichen Leben kennen lernen kann.

Fazit: Eine Inszenierung, die einen idealtypischen Zugang zu diesem Werk bietet, das überreich an musikalischen Kostbarkeiten ist und angesichts seiner zwingenden Dramatik grübeln läßt, warum es nicht zum festen Repertoire eines jeden Hauses gehört.


Erich Wolfgang Korngold – Die tote Stadt
Musikalische Leitung – Erik Nielsen
Regie – Anselm Weber
Szenische Leitung der Wiederaufnahme – Tobias Heyder
Bühnenbild – Katja Haß
Kostüme – Bettina Walter
Licht – Frank Keller
Dramaturgie – Norbert Abels
Video – Bibi Abel
Choreografie – Alan Barnes
Chor – Matthias Köhler
Kinderchor – Michael Clark

Paul – Burkhard Fritz
Marietta – Nicola Beller Carbone
Frank – Sungkon Kim
Brigitta – Nadine Weissmann
Juliette – Anna Ryberg
Lucienne – Jenny Carlstedt
Victorin – Simon Bode
Graf Albert – Hans-Jürgen Lazar
Gaston (Tanz) – Alan Barnes
Gaston (Gesang) – Simon Bode

Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Chor und Kinderchor der Oper Frankfurt

27. August 2011

Pittsburgh Symphony Orchestra – Manfred Honeck.
Laeiszhalle Hamburg.

20:00 Uhr, 1. Rang links, Loge 6, Platz 1


Wolfgang Rihm – Lichtes Spiel (Anne-Sophie Mutter)
Felix Mendelssohn Bartholdy – Violinkonzert (Anne-Sophie Mutter)

(Pause)

Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 5



Die Akustik des ersten Rangs ist nicht schlecht, angesichts der heute gebotenen Ausnahmequalität aller Beteiligten vermißt man jedoch eine feinere akustische Bühne, wie sie die vielfach von mir bemühte Kölner Philharmonie bereitstellt.

Rihm: interessantes, recht zugängliches Stück, das Assoziationen an einen lauen Sommerabend weckt. Sehr abwechslungsreich. Auch in der hierfür erforderlichen kleinen Besetzung läßt das Orchester seine außerordentliche Qualität aufblitzen. Streicher, die dem lapidare Wörtchen „schön“ wieder Gewicht verleihen. Samtig, homogen, klangvollendet. Dazu gesellen sich perfekte, zarteste Holzbläser und liebliche Hörner. Und Frau Mutter? Bin ich diesmal mit so gut wie keinem Erwartungsdruck an das Konzert herangegangen, macht ihr Spiel doch vom ersten Moment klar, warum sie seit Jahrzehnten diese Ausnahmestellung in der medialen Wahrnehmung genießt.

Ein Vergleich drängt sich mir auf: die Sokolov der Geige. Natürlich etwas windschief angesichts des Bekanntheitsgefälle, aber für mich absolut passend. Beide Künstler verstehen es, ihren Instrumenten „unerhörte“ Klänge zu entlocken, die verblüffen, ins Mark treffen, Atem rauben. Gleich nach den ersten Bogenstrichen besteht kein Zweifel: man ist gut aufgehoben, es ist alles richtig, wird alles gut. Eine selbstverständliche, organische Extremvirtuosität. Der Ton ist lupenrein, ohne kalt oder hart zu sein. Alle denkbaren Facetten werden präsentiert. Zupackende Energie, die mitreißt wechselt mit zartestem Saitenhauch. Samtig. Warm. Agil. Versonnen.

Mendelssohn gehört zu jenen Komponisten, deren Erscheinen auf einem Konzertprogramm mich nicht unbedingt innerlich in die Hände klatschen lassen. Sein Violinkonzert hörte ich bereits mehrere Male, ohne besonders Anteil daran genommen zu haben. Dieser Umstand erfuhr heute zumindest eine Ausnahme. Die Kombination Pittsburgh/Honeck/Mutter läßt das Werk für mich gewissermaßen neu entstehen – so bin ich dabei! Und wie: Honecks Interpretation ist genau nach meinem Geschmack. Flottes Grundtempo, energische Herangehensweise, dennoch sensibelste Klang-Oasen schaffend. Eigentlich so, wie ich auch Beethoven am liebsten höre. Die perfekte Balance zwischen knackig und elegisch. Alles bleibt jederzeit im Fluss. Das Hauptthema des zweiten Satzes schlägt, obwohl wie gesagt nur allzu bekannt, von Mutter dargeboten, ein wie eine Bombe. Oder vielmehr: schneidet wie ein heißes Messer durch mein Butterherz. Nicht auszudenken, hätte Beethoven oder Sibelius auf dem Programm gestanden ... Über das Orchester braucht es nicht viele Worte. Perfekt trifft es ganz gut. Der letzte Satz gerät zum Musterbeispiel dafür, daß atemberaubende Virtuosität sehr wohl mit Wärme und Emotionalität vereinbar ist. Leider keine Zugabe der Solistin.

Mahler: schon in der Pause läßt das sich einspielende Blech keinen Zweifel daran, daß man gleich einiges im Angebot hat. Eine Mahler-Sturmfront zum Beispiel. Ist schon eine Weile her, daß mir der erste Satz derart vor den sprichwörtlichen Latz geknallt wurde. Es bleibt dabei, Streicher und Holz agieren von erster Güte, hinzu kommt nun eine Blechabteilung, die schlicht Weltklasse ist. Hier braucht man sich nicht lange mit irgendwelchen Kieksern oder Wacklern (ja, gab's auch mal) aufzuhalten, sondern kann sich bedingungslos an der schieren Spielfreude und Klangpracht laben. Und es geht hier nicht etwa um bloße Kraftmeierei, man hat einfach alles im Portfolio: wahlweise stählern schneidende oder fast holzbläserhaft agierende Trompeten, schwarzschmetternde oder satt grundierende Posaunen, eine profunde Tuba und zu guter Letzt eine wahnwitzig gute Hornclique, deren Solist im Scherzo eine Präsentation zum Thema „warum ein Horn einfach alles kann“ hält. Kein Zweifel, das Blech ist der Star des (Mahler-)Abends. Auch weil es die wunderbaren Streicher als einzigen Mini-Wermutstropfen in der absoluten Höhe ein wenig an Schärfe vermissen lassen (Adagietto), wie ich es so gern mag.

Nun ja, der eigentliche „Star“ des Abends ist natürlich Manfred Honeck. Gestatten, Honeck, Mahlerfuchs, den niemand auf dem Zettel hat (ich zumindest bis heute nicht). Was sich im Mendelssohn andeutet, wird hier Gewißheit: der Mann kann es einfach. Sein Konzept: einfach Mahler ernst nehmen und Ernst machen. Bretthart und bedingungslos, wo es sich gehört, an anderen Stellen bereit, das Zartestmögliche mit diesem Riesenorchester zu realisieren. Auf die einzelnen Sätze möchte ich gar nicht im Detail eingehen, es fühlt sich einfach richtig an. Die Kontraste (insbesondere der Dynamik) stimmen, der Gehalt erschließt sich. Ich hoffe inständig, daß sich diese Lesart auch auf die gerade im Werden befindliche Gesamtaufnahme überträgt, um ihren Finessen auch „am stillen Herd“ nachspüren zu können.

Hatte ich mein Autogrammjägerdasein weitgehend an den Nagel gehängt, nötigte mir dieser Abend doch einen Rückfall ab, um mich bei Solistin und Dirigent persönlich zu bedanken.

13. August 2011

S-H Festival Orchester – Lawrence Foster.
Laeiszhalle Hamburg.

20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 11, Platz 16


Richard Strauss – Vier letzte Lieder (Waltraud Meier)

(Pause)

Richard Strauss – Eine Alpensinfonie

Zugabe: Johann Strauß – Kaiserwalzer



Meine Ohren fühlen sich heute leider nicht besonders. Ein leicht gedämpfter Eindruck herrscht vor. Der Platz bietet ein sehr ausgewogenes Klangbild mit der Tendenz zum Stumpfen. Generell bin ich wohl in den meisten Fällen, insbesondere bei eingebundenen Solisten, mit meinem Abo-Platz weiter vorn gut bedient. Das gestaltet sich dort doch etwas involvierender, wenn auch weniger „übersichtlich“. Nun ja, direkt hin oder her, trocken hin oder her, es ist halt unbestritten, daß die alte Dame Laeiszhalle im Vergleich zu Köln oder Essen den Kürzeren zieht. Aber ich fühle mich bekanntlich dennoch wohl.

Vier letzte Lieder: Das Orchester klingt wunderbar, sehr homogen und warm. Keine wirklichen Schwachstellen auszumachen. Die Streichergruppe hat sich das Prädikat straussisch-zart verdient. Der Konzertmeister absolviert die Solostellen mit Bravour, daß es zu Herzen geht. Tadellose Hornpassage, weich und rund. Über Holz und Blech im allgemeinen ist nicht viel zu sagen, außer, daß auch diese Gruppen sich sehr stimmig in das Ganze einfügen. Dürfte ich heute nur ein Wort bemühen, so wäre es wohl „homogen“. Meier ist gut in dieses Bild eingefügt, agiert dynamisch eher mit als über dem Orchester, von bestimmten Steigerungen/Höhepunkten einmal abgesehen. Ich mag ihre dunkle, warme Stimme sehr gern, manchmal erscheinen mir ihre Ansätze allerdings zu hart (?). In jedem Fall sehr textverständlich. Im dritten Lied galoppierte sie dann Fosters Interpretation zweimal davon.

Dabei gab es dazu eigentlich keinerlei Veranlassung. Meine Einschätzung bezüglich des Dirigenten hat sich auch heute bestätigt. Ein fähiger Mann, den man wahrscheinlich für so ziemlich alles gebrauchen kann. Weder dem Papier noch dem Auftreten nach ein „Stardirigent“, ein Kapellmeister im besten, dienlichsten Sinne. Es gibt sicher andere Dirigenten, die ich ihm für die „höchsten Aufgaben“ vorziehen würde, aber man kann sich bei ihm offenbar sicher sein, eine wahrhaft gestaltete Interpretation und kein Runtergenudel präsentiert zu bekommen. Sehr sympathisch.

Alpensinfonie: Das Orchester schlägt sich auch hier sehr gut (wiederum haben sich die Streicher besonderes Lob verdient), es treten aber einige Eigenarten zu Tage, die ein durchschlagendes Gelingen verhindern. Das Holz könnte insbesondere an den Solostellen zarter agieren (z.B. Oboen-Kantilene). Zudem hat das Blech zwar bis zu einer gewissen Lautstärke einen passenden Klang, läßt aber in den großen Ausbrüchen sowohl die erforderliche Durchschlagskraft als auch Klangfarbe vermissen. Das ist zu wenig, zu passiv, zu gewöhnlich für diese Partitur, hinzu kommen diverse Wackler im Eifer des Gefechts.

Sehr schade, zumal ich an der eigentlichen Interpretation Fosters kaum etwas auszusetzen habe. Auch hier gilt: sicher ist eine kühnere Interpretation denkbar, aber ich wäre froh, wenn die Mehrzahl der von mir besuchten Konzerte diese Qualität besäßen. Im direkten Vergleich sieht da z.B. Luisi mit seiner Alpensinfonie alt aus. Empfand ich beim Italiener Passagen wie das Gewitter geradezu chaotisch, zeigt Foster hier eindrucksvoll, daß man in jeder Situation die Kontrolle behalten kann. Und dann macht dieser „Lärm“ auch Sinn und darüber hinaus einen Heidenspaß.

In der Wahl der Zugabe beweist Foster dann Humor, indem er schulterzuckend abermals „Strauss“ ankündigt. Womit allerdings der Wiener Namensvetter gemeint war, dessen Kaiserwalzer den Abend schwungvoll und auch hier keineswegs oberflächlich beschließt.

31. Juli 2011

Tristan und Isolde – Kent Nagano.
Nationaltheater München.

16:00 Uhr, Parkett links, Reihe 13, Platz 523


Nun war es also soweit. Für meine Tristan-live-Premiere hatte ich die Bayerische Staatsoper auserkoren. Nach jahrelangem Zaudern erschien mir mit dieser Besetzung eine Konstellation gegeben, mit der ich es wagen konnte. Ben Heppner als Tristan, Nina Stemme als Isolde, zudem Rene Pape als Marke, zumindest theoretisch wunderbare sängerische Voraussetzungen. Einzig das Dirigat unter Nagano, mir nicht gerade als Einpeitscher kochender Leidenschaften in Erinnerung, ließ einen Rest Zweifel bestehen.

Mein bislang dritter Besuch im Nationaltheater. Was für eine Schickeria-Quote! Das kenne ich in dieser Form nur in München. Man brezelt sich auf, man zeigt, was man hat, und wenn es nur eine ganz und gar unangemessene Kriegsbemalung oder ein blasierter Blick ist. Aber natürlich ist das nur ein Teilaspekt, der bei der Besucherbeschau auffällt. Neben stolz präsentiertem Lokalkolorit überwiegt ein stark internationaler Eindruck. Wo auch sonst wird auf den Namensschildchen der freundlichen Mitarbeiter per Flaggensymbolen gleich auch auf multilinguale Plaudermöglichkeiten hingewiesen.

Alles ist ein wenig elitärer, atmet den Hauch von selbstinstallierter Wichtigkeit. Das mag natürlich auch dem Festspielcharakter des Abends geschuldet sein, der durchaus als eine Art Bayreuth-Alternative aufgefasst werden kann. Ob es nun an dem besonderen Abend oder allgemeingültigen Münchner Gepflogenheiten liegt, die Atmosphäre im Saal, die Konzentrations- und Begeisterungsfähigkeit des Publikums ist aller Ehren wert. Wenig Rumgehuste, nur ein wahrgenommener Bonbonpapier-Fauxpas, oder anders gesagt, optimale Voraussetzungen für Konzentrationswillige.

So schön die Sitze sind, auf die Dauer erhebt mein Gesäß Einspruch. Andere machen es sich da einfacher: Es wird abwechselnd links und rechts neben mir ein Nickerchen gehalten. Insbesondere der Herr rechts scheint eine Menge Schlaf nachzuholen zu haben. Die mangelnde Anteilnahme tut seiner Begeisterung nach den Aktschlüssen jedoch keinerlei Abbruch.

Nagano geht das Vorspiel zum ersten Akt sehr breit an, insgesamt in Ordnung, der Höhepunkt verfehlt seine Wirkung nicht. Für Nagano-Verhältnisse ist das Dirigat durchweg regelrecht leidenschaftlich, am Ende des Tages ist und bleibt er aber nicht „mein“ Dirigent. Das zeigt sich im Ganzen wie in kleinen Details. So ist es schließlich nur nachvollziehbar, daß die Aufführung trotz allumfassend hoher bis höchster musikalischer Qualität bei mir nicht den emotionalen „Effekt“ erzielte, der drin gewesen wäre.

Das Orchester ist ein Traum. Vollendeter Klang in allen Abteilungen, insbesondere die Streicher in allen Schattierungen und das Blech in seiner ganzen Wucht liegen mir sehr. Da lohnt es schlichtweg nicht, ins Detail zu gehen. Weltklasse ist Weltklasse. Und man kann Nagano keinesfalls absprechen, daß er mit diesem edlen Instrument nicht sensibel umzugehen wüßte. Darüber hinaus ist er durchaus ein Freund der Dynamikausreizung, was die Sänger allesamt zu spüren bekommen.

Das Ensemble ist durchweg stark besetzt. Der Seemann ist ok, der erste Eindruck von Stemme und Gubanova sehr gut. Auch Kurwenal macht seine Sache überzeugend. Dem von mir freudig erwarteten Heppner mangelt es im ersten Akt etwas an Durchschlagskraft, wobei sich die Qualität der Stimme dennoch gerade in den durchdringenden Spitzentönen zeigt.

Die Inszenierung erscheint mir vom Start weg absolut plausibel, passend, sinnhaft, bis in die Details hinein. Die Rasierszene als mangelnder Respekt gegenüber Isolde ist treffend, das Rasiermesser als Schwert dann folgerichtig eingesetzt. Beide sind schon vor dem Ausleeren der Cocktails einander verfallen. Die dunkelblaue Nachtwelt der Liebenden erscheint dann unmittelbar nach dem Trank. Am Schluß ringen beide um Fassung, das grelle Gegenlicht der Marke-Welt blendet sie.

Der 2. Akt rauscht leider ohne die erhoffte „Wirkung“ an mir vorüber. Dennoch handelt es sich zweifelsohne um eine Aufführung auf Weltklasse-Niveau, rein objektiv gesehen. Aber mein subjektives Empfinden macht mir einen Strich durch die „Nacht der Liebe“. Stemme und Heppner entsprechen da – zumindest am heutigen Abend – nicht ganz meiner inneren Wunschbesetzung. Im Zweifel kann ich eh alles auf Nagano schieben. Dabei macht er seine Sache absolut auf Top-Niveau. Differenziert, transparent, dosiert. Vielleicht eben zu dosiert, um mich in Wallung zu bringen.

Lautstärke ist an den entsprechenden Stellen vorhanden, daran liegt es sicher nicht. Aber der wagnerische Funke will bei mir nicht recht zünden. Trotzdem bin ich froh, eine solch exquisite Aufführung für meinen ersten Tristan gewählt zu haben. Gubanova auch hier sehr schön. Und dann erfolgt der Auftritt des Rene Pape. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Welt derzeit einen besseren, intensiveren Marke kennt. Der absolute Wahnsinn. Stimmgewalt und -Schönheit in Vollendung. Für mich geriet sein Monolog zum absoluten Zentrum des Aktes. Allein dafür hätte sich die Anreise mehr als gelohnt.

Die Inszenierung schafft im 2. Akt eine intime Atmosphäre. Über das Blümchensofa und andere Details (Englischhorn als Schlüsselinstrument auf der Bühne; Tristans Fall in Markes Schoß auf das Sofa) läßt sich vielleicht streiten, insgesamt nimmt sich Konwitschny aber erfreulicherweise zurück, um dem Paar die Szene zu überlassen. Bei der Ertappung durch Melot/Marke wird die Saalbeleuchtung bemüht. Kann man machen.

Wäre nach dem 2. Akt Schluß gewesen, bliebe der Eindruck einer rundum erstklassigen Aufführung; was folgt, verdient ohne Zweifel den Begriff Weltklasse. Ben Heppner als sterbender Tristan ist ein Naturereignis. Dabei scheint der Arme an diesem Abend nicht in Bestform zu sein, wovon einige arge Aussetzer Zeugnis ablegen, dies gerät jedoch angesichts seiner Gesamtleitung zur Randnotiz. Die Inszenierung erfährt in diesem dritten Akt noch mal eine Steigerung, die den Boden für eine an Intensität kaum überbietbare Wirkung bereitet. Der sieche Tristan, wie er im Sessel Dia- Projektionen voll Sehnsucht und Melancholie betrachtet, gehört zu den erschütterndsten Bildern, die ich je auf einer Opernbühne gesehen habe.

Musikalisch lebt der Akt von Heppners scheinbar unbegrenzten Kraftreserven, die ihn von Ausbruch zu Ausbruch tragen, mit jedem neuen Aufbäumen den Rausch der Selbstvernichtung schüren. Daß zu guter Letzt Nagano nicht ganz zu überzeugen weiß und den erhofften Höhepunkt des Liebestodes nur passabel absolviert, fällt kaum mehr ins Gewicht. So sehr auch Stemme ihren Teil Lob verdient hat, werde ich diesen Abend doch als Heppner-Tristan im Gedächtnis behalten. Der Schluß, in dem das titelgebende Paar den Vorhang vor Marke und den anderen „Diesseitigen“ schließt, um ganz für sich zu sein, ist einfach nur wunderschön. Was für ein Abend.


Richard Wagner – Tristan und Isolde
Musikalische Leitung – Kent Nagano
Inszenierung – Peter Konwitschny
Bühne und Kostüme – Johannes Leiacker
Licht – Michael Bauer
Dramaturgie – Werner Hintze
Chöre – Sören Eckhoff

Tristan – Ben Heppner
König Marke – René Pape
Isolde – Nina Stemme
Kurwenal – Alan Held
Melot – Francesco Petrozzi
Brangäne – Ekaterina Gubanova
Ein Hirt – Kevin Conners
Ein Steuermann – Christian Rieger
Ein junger Seemann – Ulrich Reß

Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper

30. Juli 2011

6. Festspiel-Kammerkonzert – Kent Nagano.
Cuvilléstheater München.

20:00 Uhr, Parkett links, Reihe D, Platz 57


Hans Werner Henze – Adagio adagio
Wolfgang Amadeus Mozart – Fantasie d-Moll KV 397; Eine kleine Gigue G-Dur KV 574; „Kegelstatt-Trio“ Es-Dur KV 498

(Pause)

Hans Werner Henze – Paraphrasen über Dostojewski (Stefan Hunstein)



Alle Welt liebt Mozart. Gegen Mozart kann man nichts sagen, oder besser, es schickt sich nicht. Aber was soll ich machen – das heutige Kammerkonzert im Münchner Cuvilléstheater bestätigte eindrucksvoll aufs Neue, daß der Gedanke „Meine Zeit für Mozart wird einmal kommen“ auf unbestimmte selbige ein frommer Wunsch zu bleiben scheint. Sollte ich dereinst aufgrund eben dieses Umstands das Fegefeuer, Abteilung für unverbesserliche Konzertgänger, verbüßen müssen, so könnte ich mir durchaus vorstellen, dort mit einer Dauerbeschallung des göttlichen Salzburgers abgeurteilt zu werden.

Dabei machte mich der Beginn des ersten Mozartwerkes noch hoffen. Aber Takt um Takt, Minute um Minute schwand meine Zuversicht. Ich habe mich redlich bemüht, muß jedoch meine Niederlage eingestehen. Man möge mir nachsehen, wenn ich ganz schnöde feststellen muß: Mozart langweilt mich. Mehr noch: diese Musik stellt meine Geduld bis zum Äußersten auf die Probe. Angesichts der Elogen, mit denen Bachmann und Henze in ihren Texten – vorzüglich dargeboten vom Schauspieler Stefan Hunstein – ihren apollinischen Wunderknaben überhäufen, bleibt mir nur, mein empathisches Unvermögen festzustellen und verblüfft nachzusinnen, wie das wohl sein mag, wenn man den Zugang zu Mozart sein Eigen nennen darf.

Neben zwei Werken für Klavier solo und dem „Kegelstatt-Trio“ von Mozart standen zwei Henze-Werke auf dem Programm, die mir – abgesehen von der opulenten Erscheinung des Saales – den Abend in freundlicher Erinnerung belassen. Die Serenade „Adagio adagio“ überraschte mich als relativ Henze-Unkundigen mit gemäßigten, regelrecht vertrauten Klängen. Nichts desto trotz schien die Aussicht auf ein weiteres Stück dieses Komponisten die amerikanische Gruppe hinter mir nach der Pause zum Fernbleiben bewogen haben (Ankündigung des Programms durch die deutsche Begleitung: (warnend:) „First we have Henze – very modern, veeery modern ... (beschwichtigend:) ... but then we have Mozart!“

Das Hauptwerk des Abends, die „Paraphrasen über Dostojewski“, hätten sie dann wahrscheinlich als „shocking“ empfunden – mir hat's gefallen. Sicher, ich kann nicht behaupten, daß ich nach dem ersten Hören die Anlage des Werkes auch nur annähernd erfasst hätte. Aber es bleibt der Eindruck eines interessanten Stückes, getragen von diversen aufhorchen lassenden Einzelheiten, der eine erneute Beschäftigung damit nahe legt. Die Kombination mit der Sprechstimme ergab intensive Wirkungen. Bleibt mir noch, die rundum gelungene musikalische Umsetzung aller Werke des Abends durch die Solisten festzuhalten. Alles in allem ein erfolgreicher Abend.

12. Juli 2011

Hamburger Orgelsommer – Heiner Graßt. St. Jacobi Hamburg.

20:00 Uhr, freie Platzwahl


Dietrich Buxtehude – Präludium a-Moll, BuxWV 153; Wär Gott nicht mit uns diese Zeit, BuxWV 222; Herr Christ, der einig Gottes Sohn, BuxWV 192; Präludium g-Moll, BuxWV 148
Jon Laukvik – Choralvorspiel zu Jesu meine Freude
Johann Sebastian Bach – Triosonate d-Moll BWV 527
Georg Muffat – Toccata 12

(Pause)

Peter Planyavsky – Toccata 13
Franz Liszt – Aus tiefer Not; ich hatte viel Bekümmernis
Theodore Dubois – Toccata G-Dur

Erste Hälfte auf der Schnitger-Orgel, nach der Pause an der Kemper-Orgel. Interessanter Klangvergleich.

3. Juli 2011

Gespräche der Karmelitinnen – Stefan Blunier.
Komische Oper Berlin.

19:00 Uhr, Parkett rechts, Reihe 5, Platz 19


















Einführung recht informativ. Akustik sagenhaft. Sänger sehr präsent, Orchesterklang voll, homogen, gleichzeitig direkt und druckvoll. Orchester durchweg auf Top-Niveau, technisch und bezüglich des Ausdrucks. Die Klangsprache Poulencs wird auf beeindruckende Weise offenbar, alles erscheint mir absolut „richtig“. Reiche Dynamik- und Klangfarbenpalette. Blech beeindruckend. Streicher zart. Dirigat ebenfalls „richtig“. Ich kann es nicht anders sagen, mehrfach kommt mir der Gedanke „so muß es sein“ oder „so bin ich vollkommen bei Poulenc“. Insbesondere im ersten Akt immer wieder Verblüffung, wie reich doch die Partitur ist. Da geriet das Finale fast ein wenig „unspektakulär“.

Ensemble durchweg stark. Vater und Bruder etwas schwächer, getragen wurde alles aber von Blanche und Constance, flankiert von einer sehr starker Marie/Priorin. Ganz stark auch die Inszenierung: Verstörend die einzelne, halb nackte Schwester als „Irrlicht“ (offene Bühne). Der Ruf Bieixtos als Ekelregisseur trifft überhaupt nicht – „trotz“ Blut- und „Schmutz“–Momenten. So empfand ich beispielsweise die Waschung der toten Priorin mit der alles zeigenden Positionierung nicht als Provokation, sondern als etwas Intimes, Menschliches. Kurze Irritation bei der schwangeren Constance (Regieeinfall oder reale „Umstände“?). Intensives Spiel aller Beteiligten. Die Komische Oper scheint generell viel Wert auf MusikTHEATER zu legen (vgl. Mahagonny und Lady Macbeth). Hochästhetisch gefilmte Portraits der Sängerinnen als Abbilder von Seelenzuständen. Eine sehr körperliche Inszenierung. Atemgeräusche, Stöhnen, Röcheln. Hell erleuchteter Saal bei der Urteilsverkündigung per Megaphon.

Fazit: Eine realistische, involvierende, drastische aber ungemein sensible Inszenierung. Und wieder ein Triumph für die Komische Oper.


Francis Poulenc – Gespräche der Karmelitinnen
Musikalische Leitung – Stefan Blunier
Inszenierung – Calixto Bieito
Bühnenbild – Rebecca Ringst
Kostüme – Ingo Krügler
Licht – Franck Evin
Dramaturgie – Bettina Auer
Chöre – André Kellinghaus
Video – Robert Lehniger, Bert Zander

Marquis de La Force – Claudio Otelli
Blanche de La Force – Maureen McKay
Der Chevalier – Joska Lehtinen
Madame de Croissy, alte Priorin – Christiane Oertel
Madame Lidoine, neue Priorin – Erika Roos
Mutter Marie – Irmgard Vilsmaier
Schwester Constance – Julia Giebel
Mutter Jeanne – Caren van Oijen
Schwester Mathilde – Maren Schäfer
Beichtvater des Karmel – Peter Renz
Erster Kommissar – Thomas Ebenstein
Zweiter Kommissar – Hans-Peter Scheidegger
Kerkermeister – Carsten Sabrowski
Schwester Anne – Margita Zalite

Orchester der Komischen Oper Berlin
Chorsolisten und Komparserie der Komischen Oper Berlin
Mitglieder des Ernst Senff Chores Berlin

21. Juni 2011

Hamburger Orgelsommer – Josinéia Godinho. St. Jacobi Hamburg.

20:00 Uhr, freie Platzwahl

Georg Muffat – Toccata octava
Bernardo Storace – Ciaconna
Pablo Bruna – Tiento de mano derecha
José Elias – Passacalles Quinto Tono para organo
Anonimo – Canción para la Corneta con el Eco

Johann Sebastian Bach – Partite diversa sopra: Ach, was soll ich Sünder machen?
Matthias Weckmann – Magnificat Il Toni
Dietrich Buxtehude – Komm heiliger Geist, Herre Gott
Dietrich Buxtehude – Praeludium in e-Moll BuxWV 142

19. Juni 2011

Il Barbiere di Siviglia – Alfred Eschwé.
Staatsoper Hamburg.

19:30 Uhr, Parkett rechts, Reihe 12, Platz 16


Einführung für Kinder – wenig Kinder da. Aber gut gemacht vom Herrn Komponisten. Sicher auch für einige der anwesenden älteren Semester erhellend. Vorstellung gut verkauft, viel Jungvolk (Schulklassen?). Warum eigentlich? Ist dies eine gute „Einstiegsoper“? – Ich finde nicht. Viel zu anstrengend, so ging es mir jedenfalls beim ersten Hören – und insgesamt bleibt der Eindruck. Sowohl vom Orchester, Dirigat als auch insbesondere vom Ensemble her eine mustergültige, optimale Vorstellung. Der Ersatz-Figaro (Dalibor Jenis) ist ein Volltreffer in jeder Hinsicht: stimmlich, darstellerisch, präsenztechnisch. Und – er kann die Gitarre selbst erklingen lassen – viel Freude an der spaßigen Ständchen-Begleitung. Das ist „Klamauk“ wie er mir gefällt, weil er paßt. Im zweiten Akt ist aber auch viel Banal-Naives dabei – Für einmal ist das ok, aber nur mit diesem Akt Opernkost könnte ich meinen Speiseplan nicht bestreiten. Zurück zu den Sängern: Kasarova hat die erwartet sanft-schmeichelnde Stimme und Agilität. Manchmal ist sie mir schon eine Spur zu dunkel, zu „erwachsen“ für die Rosina. Aber das ist Makulatur, ihre Ausdrucksfähigkeit, ihre ganze Interpretation ist vollendet. Schön, daß an diesem Abend wirklich alles gepaßt hat! Der Tenor des Grafen hätte eine Spur mehr Schmelz vertragen können, aber er ist fein und agil, wie es sich gehört. Auch die weiteren Rollen stark besetzt (Don Bartolo, Don Basilio), die Hausdame auch ok. Das Dirigat erscheint mir agil, beschwingt, Rossini-gemäß. Das Orchester klingt wunderbar.

Zu Rossini: Der Abend hat Spaß gemacht, aber mehr durch das Spiel der Darsteller als durch die Musik. Sicher, hier und da machen die Ohrenschmeichler Freude und der Auftritt des Figaro kann zum Knaller werden – wenn er so energiegeladen wie heute vorgetragen wird (Zu Recht „Daumen hoch“ vom Dirigenten). Aber insgesamt bleibe ich dabei: diese Musik strengt mich an, nicht weil sie mich fordert, sondern auf Dauer ermüdet. Und sooo genial sind die Melodien dann doch nicht, daß sie mich allein fesseln könnten. Als Theaterstück, besser noch Schwank mit Musik funktioniert das Stück, als Oper für mich jedenfalls nicht. Das ist nicht meine Sprache, nicht meine Welt. Es würde mich stark wundern, wenn sich daran in naher Zukunft viel änderte.


Gioachino Rossini - Il Barbiere di Siviglia
Musikalische Leitung – Alfred Eschwé
Inszenierung – nach Gilbert Deflo
Ausstattung – nach Ezio Frigerio
Chor – Christian Günther
Spielleitung – Anja Krietsch

Il Conte die Almaviva – Alexey Kudrya
Don Bartolo – Donato di Stefano
Rosina – Vesselina Kasarova
Figaro – Dalibor Jenis
Don Basilio – Alexander Tsymbalyuk
Fiorillo – Moritz Gogg
Berta – Katja Pieweck
Un Ufficiale – Thomas Briesemeister

Herrenchor der Staatsoper Hamburg
Philharmoniker Hamburg

18. Juni 2011

Macbeth – Marcus R. Bosch.
Staatsoper Hamburg.

19:00 Uhr, Parkett links, Reihe 2, Platz 13


Nicht übermäßig gut ausverkauft. Offenbar kein Straßenfeger. Musikalisch wenig Interessantes. Einige Momente mit bzw. zwischen Macbeth / Lady Macbeth können der Sphäre des „Düsteren“ zugerechnet werden. Auf den ersten Eindruck aber viel belangloses Gedudel. Mal sehen. Finale erster Akt mit Chor eindrucksvoll – mehr aber durch die Klangwirkung als durch die musikalische Substanz. Macbeth (Dobber) gefällt mir gut – schöne Stimme mit Kraft und Ausdruck. Gute Präsenz. Lady hat im Piano-Bereich ihre Stärken, ansonsten ok. Banco nicht schlecht. Hexenchor unpräzis, schwammig, ohne Biss (Dirigat?!). Dirigat insgesamt unauffällig.

Inszenierung: Agieren der Hexen peinlich – berufscooles Abklatschen geht gar nicht (Das gilt auch für Macbeth). „Tanz“-Einlagen der Hexen ungelenk. Kostüme insgesamt ok, plausibel (auch die Nacktkleider der Hexen). Akte 2 und 3: Musikalischer Eindruck bleibt bestehen: Die interessanten Stellen sind die ruhigen zwischen Macbeth und seiner Frau. Der 2. Akt zieht fast spurlos an mir vorbei (Festbankett). „Gag“: Die Damen werden zu den Hexen. 3. Akt ganz nett. Sattes, tiefes Blech führt die Beschwörung ein – nicht schlecht. Einige optische Gimmicks sorgen für Kurzweil (Erscheinungen im Kessel und Königs-Spiegelkabinett). Dobber wirklich sehr gut. Leider gibt das alles musikalisch wenig für mich her. Hmm. Und wieder einmal: Klamauk zieht auch in Hochkulturkreisen (Hexenballett mit Besentanz). 4. Akt der musikalisch ergiebigste. Wahnsinnsszene der Lady Macbeth ist der „Höhepunkt“ der Oper – sehr schön gemacht – nun wird klar, daß diese Besetzung goldrichtig war. Facettenreich, innig, ausdrucksstark. Auch der Beginn mit den Flüchtlingen interessant. Ganz starke Tenorpartie von Teodor Ilincai (Macduffs Totenklage). Top-Stimme – gleich mal nachhaken … Und am Ende bekommt Dobber nach dem Todesstoß noch einmal Gelegenheit, seinen tollen Bariton zu präsentieren.

Fazit: Durchweg starkes Ensemble (bis hin zur Dame/Rossmanith), ordentliches Dirigat, gutes Orchester, durchwachsener Chor, ganz passable Inszenierung. Nur: Das Werk an sich hat unter dem Strich enttäuscht. Da war der Eindruck eines Simon Boccanegra deutlich stärker. Na denn.


Giuseppe Verdi – Macbeth
Musikalische Leitung – Marcus R. Bosch
Inszenierung – Steven Pimlott
Bühnenbild – Tobias Hoheisel
Kostüme – Ingeborg Bernerth
Licht – Manfred Voss
Spezialeffekte – Paul Kieve
Bewegungsregie – Sue Lefton
Chor – Florian Csizmadia
Hamburger Alsterspatzen – Jürgen Luhn
Spielleitung – Petra Ingeborg Beyerlein

Macbeth – Andrzej Dobber
Banco – Roberto Scandiuzzi
Lady Macbeth – Iano Tamar
La Dama di Lady Macbeth – Gabriele Rossmanith
Macduff – Teodor Ilincai
Malcolm – Dovlet Nurgeldiyev
Un Medico – Dieter Schweikart
Un Servitore – Levente Páll
Un Sicario – Jongmin Park
Tre Apparazioni – Jongmin Park, Finn Grundmann, Marten-Laynes Marweg
Duncan – Gunter Schneider
Lady Macduff – Christina König
Fleance – Maik Mensching

Chor der Staatsoper Hamburg
Philharmoniker Hamburg

29. Mai 2011

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny – Dirk Kaftan.
Theater Augsburg.

19:00 Uhr, Parkett links, Reihe 3, Platz 60














Theater wird außen saniert, sieht gut aus. Im Inneren 50er-Muff mit seltsamen Eigenheiten (alle Fenster/Rahmen abgerundet). Sehr gute Akustik, zumindest für diese Orchestergröße – Wand des Grabens heruntergefahren (!?). Die Sänger werden bei den Sprechpassagen verstärkt. Fazit vorweg: Ganz großes Theater in Augsburg, aber die Augsburger merken’s nicht. Orchester wunderbar. Dirigat top, packend, differenziert. Chöre mitreißend. Klar, die Sänger lassen erkennen, daß wir hier nicht in München oder Berlin sind, aber sie machen ihre Sache sehr, sehr gut. Das Stück funktioniert – im besten Sinne. Die Inszenierung muß in meinem Kopf mit der genialen Version der Komischen Oper konkurrieren – und schlägt sich ausgesprochen gut. Für eine „Provinzbühne“ eine unglaublich vielschichtige, ausgefuchste Inszenierung. Bravo!

Die großen und kleinen Gedanken des Stücks werden visuell wunderbar umgesetzt. Mensch und Tier (Affenkostüme).Der kleine Junge als „Ansager“ und „Nummerngirl“. Die Bühne als fortgesetzter Zuschauerraum. Das Paar Jim/Jenny: Adam und Eva-Szene. Die Lustsuchenden mit Handy und Laptop. Die vier Regeln. Kalb: Raffen, bis das Affenkostüm platzt. Boxen: Die Zuschauer schlagen den Herausforderer selbst tot, da diese ihr Geld auf Moses gesetzt haben. Liebesakt: Das kleine Mädchen wird mit der Puppe über die Knie der Männer „geführt“. Jenny läßt Jim im Stich, hält ihm sein eigenes Lied vor, küßt ihn aber zum Schluß doch kurz, bevor sie sich abwendet. Beim Liebesabschied dann bleibt ein Kuss aus. „Gott-nach-Mahagonny“-Szene als Ensemble-„Tanz“ in grünem Licht. Und und und.

Und immer wieder: tolle Darsteller. Sicher gibt es bessere Sängerinnen als Jenny, aber wenn sie tanzt und sehnt und leidet, paßt es einfach. Und Jim ist der (volumenmäßig) stimmliche Fels der Aufführung, obwohl er wenig Schmelz besitzt. Egal, er spielt glaubhaft und mit Präsenz. So sollte Theater sein. Interessant: Englische Stücke im 3. Akt (?). Waren die auch in Berlin? Ich glaube nicht. Noch einmal: ein großes Werk mustergültig auf die Bühne gebracht. Nachtrag: Der Augsburger kann mit „seinem“ Brecht offenbar weniger als nicht viel anfangen. Beschämend: Lauer Applaus und KEIN weitere Vorhang. Traurig.


Kurt Weill – Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
Musikalische Leitung – Dirk Kaftan
Choreinstudierung – Karl Andreas Mehling
Choreographie – Dimas M. Casinha
Dramaturgie – Juliane Votteler, Marlene Hahn

Leokadja Begbick – Kerstin Descher
Fatty – Christopher Busietta
Dreieinigkeitsmoses – Stephen Owen
Jenny Hill – Anna Maria Kaufmann
Jim Mahoney – Gerhard Siegel
Jack O’Brien – Seung-Hyun Kim
Bill – Jan Friedrich Eggers
Joe – Petar Naydenov
Tobby Higgins – Gerhard Werlitz

Chor und Statisterie des Theaters Augsburg
Philharmonisches Orchester Augsburg




28. Mai 2011

Der Ferne Klang – Philipp Pointner.
Staatstheater Nürnberg.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 7, Platz 203















Hübscher Bau, wenn auch innen entjugendstilt, dennoch festlich. Akustik gut. Einzig störend: Die Positionierung des zusätzlichen Schlagwerkes in der rechten Proszeniumsloge führt z.T. zu Überpräsenz. Orchester gut, der zauberische Schreker-Klang wird weitgehend realisiert. Dirigat ok bis unauffällig. Leider sind die Sänger ihren Aufgaben weitgehend nicht gewachsen. Fritz hat nur hier und da Strahlkraft, ist in den leiseren Passagen nahezu nicht präsent. Von Lyrik ganz zu schweigen. Grete hat vielleicht die nötige Erscheinung, es gibt aber deutlich erotischere Stimmen. Einzig der Graf sorgt hier und da für Glanzpunkte.

Die Inszenierung ist insgesamt plausibel, gangbar, wenn auch nicht unbedingt mitreißend. Das kleine Mädchen als Unschuld der Grete macht schon Sinn, wird auch in die Venedig-Szene gut integriert (Sado-Maso-Karussellpferd). Unwirkliches Auftreten der Alten im Schaukelstuhl aus der Unterbühne. Wasserwand (?) Ende 1. Akt sieht nicht besonders ästhetisch aus. 1. Akt: Grete von allen Männern „beansprucht“, benutzt. 2. Akt: „Naturalistische“ Darstellung des Bordell-Varieté. Schon nicht schlecht, wenn ich auch den überbordenden Zauber der Mussbach-Inszenierung im Kopf habe. 3. Akt insbesondere zu Beginn am stärksten. Schauspiel tritt in den Vordergrund (der Backstage-Situation …). Das Finale können die Fritz- und Grete-Sänger nicht stemmen, obwohl sie hier zulegen. Die Musik gerät beeindruckend. Schrekers Essenz wurde heute Abend trotz der Mängel transportiert.

Nachtrag: Der Nürnberger an sich scheint mit Schreker nicht viel anfangen zu können. Zwischendurch wird gern mal geplaudert. Dafür weniger Bonbons … Freundlicher Applaus für ein Werk, das man nicht kennt und nicht mag.


Franz Schreker – Der Ferne Klang
Musikalische Leitung – Philipp Pointner
Inszenierung – Gabriele Rech
Bühne – Dirk Becker
Kostüme – Gabriele Heimann
Chor – Edgar Hykel
Licht – Thomas Schlegel
Dramaturgie – Kai Weßler

Grete – Astrid Weber
Fritz – Michael Putsch
Der alte Graumann – Klaus Brummer
Seine Frau – Angelika Straube
Der Wirt – Dariusz Siedlik
Dr. Vigelius / Der Baron – Guido Jentjens
Ein altes Weib / Die Spanierin / Kellnerin – Teresa Erbe
Mizzi – Isabel Blechschmidt
Mary – Melanie Hirsch
Milli – Esen Demirci
Der Graf / Ein Schmierenschauspieler / Rudolf – Jochen Kupfer
Der Chevalier / Ein zweifelhaftes Individuum – Martin Nyall
Zwei Orchestermusiker – Klaus Brummer, Dariusz Siedlik
Polizeimann – Suren Manukyan
Gesang des Baritons – Michael Kunze

Chor des Staatstheater Nürnberg
Nürnberger Jugendchor des Lehrergesangvereins
Einstudierung – Barbara Labudde
Statisterie des Staatstheater Nürnberg
Nürnberger Philharmoniker

27. Mai 2011

Mahler Chamber Orchestra – Daniel Harding.
Laeiszhalle Hamburg.

20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 16


Johannes Brahms – Sinfonie Nr. 1


(Pause)

Johannes Brahms – Sinfonie Nr. 3



Orchester sehr gut, durch seine „Größe“ sehr transparent. Der kleinere Streicherapparat ist nur selten ein Nachteil (z.B. bei „schwebendem“ Begleitteppich für das Hornsolo im 4. Satz – etwas zu dünn). Zum Teil beim Tutti seltsamer Beiklang – wie Gesang?! Akustikstreich?! Horn sicher, aber etwas spröde. Holzbläser Spitzenklasse. Streicherklang druckvoll und klar, könnte aber noch schärfer ausfallen. Blech gut. Konzertmeistersolo schön. Interpretation sehr energisch, druckvoll. Schnelles Grundtempo steigert sich zum Ende des letzten Satzes kolossal. Gefällt mir insgesamt sehr gut, insbesondere der erste Satz. Lyrisches wird nicht runtergenudelt. Kritikpunkt: Manche Passagen werden mir ZU schnell angegangen, dann verhaspelt sich das Orchester fast. Dennoch: eine interessante, untypische, Nicht-Nummersicher-Interpretation, die die schnellste Finale-Version bereithält, die ich je gehört habe.

Nach der Pause leider müdigkeitsbedingt nachlassende Konzentration bei mir. Dennoch scheint mir auch die Interpretation der 3. gelungen. Gekrönt wird alles von einem Wahnsinnsantritt gegen Ende des 4. Satzes. Wahnsinns-Zug! Bombastisch. Top-Blechstelle (Posaune)! Nachtrag zum „Akustikproblem“: Ich befürchte, Harding schnauft und stöhnt – schon etwas nervig. Aber naja, wenn das Ergebnis stimmt, sei es ihm verziehn. Leider keine Zugabe.