22. August 2012

Amoretti (CD-Präsentation) – Christiane Karg.
Villa Jako Hamburg.

19:30 Uhr, freie Platzwahl



Arien von Wolfgang Amadeus Mozart, Christoph Willibald Gluck und André Grétry

 

Wenn man schon auf den letzten Drücker im Taxi zu einer Veranstaltung braust, bzw. gebraust wird, dann hilft es einem Zuspätkommpaniker wie mir doch ungemein, an einen musisch interessierten Taxifahrer zu geraten. So konnte man die verrinnenden Minuten Richtung Elbchaussee mit einer netten Unterhaltung über Musik, Theater und vieles mehr zumindest zeitweise aus dem Sinn bekommen. Am Ende wurde die nervöse Fracht natürlich doch rechtzeitig am Bestimmungsort abgeliefert.

Besagten Ort, die efeuberankt verwunschen hinter einem alten Portal am Ende eines Privatweges gelegene Villa Jako, den fast schon unscheinbaren Eingang von Säulen gesäumt, hatte ich durch einen Zufall bereits vor einigen Jahren kennengelernt. Die ehemalige Lagerfeld-Behausung diente damals als Kulisse für ein Fotoshooting. Repräsentativ ist das Areal in jedem Fall, so daß der Rahmen der Präsentation der neuen CD „Amoretti“ von Christiane Karg kaum festlicher hätte ausfallen können. So vernahm man im zum Musikzimmer umfunktionierten, wenn auch akustisch nur bedingt geeigneten Wohnsaal Auszüge des Arienprogramms, dargeboten von Frau Karg in Begleitung durch Jonathan Cohen am Flügel, den Dirigenten der CD-Einspielung.

Das Experiment, in kleinem Kreis einen Einblick in das Programm der Aufnahme zu bieten, darf als äußerst geglückt bewertet werden. Dies lag nicht allein am wunderbaren, warmherzigen Vortrag der Sopranistin, sondern auch an Frau Kargs Talent, dem Publikum in kleinen Zwischenmoderationen und Anekdoten den Entstehungsprozeß und ihre Beweggründe bei der Stückauswahl auf interessante, ungezwungene Art nahe zu bringen. Schön zu wissen, wenn sich hinter einer zauberhaften Stimme auch eine sympathische Persönlichkeit verbirgt. Die Vorzüge ihres Gesangs durfte ich ja bereits bei mehreren Gelegenheiten im Konzert- und Opernsaal genießen. Eine zarte, stets warme Stimme, die auch in energischer Höhe nie hart oder schrill klingt, lieblich, wohlig, flexibel – um nur ein paar Attribute zu nennen. Keine sphärische Nymphe, sondern gelebte Emotion.

Schön auch, daß die Künstlerin beim abschließenden Ausklang des Abends im imposanten Garten mit unverbaubarem Elbblick noch zugegen war und für das ein oder andere Gespräch zur Verfügung stand. Genau diese unaufgesetzte Nähe sollten Künstler heute eigentlich viel häufiger zu ihrem Publikum suchen, aber das ist natürlich auch eine Frage der Persönlichkeit.

19. August 2012

Sardanapalus – Bernhard Epstein.
Ekhof-Theater Gotha.

15:00 Uhr, Fürstenloge, Reihe 1, Platz 7



Es mag kreislauffreundlichere Fleckchen geben, um den offiziell heißesten Tag des Jahres zu verbringen, als den Saal des schmucken Ekhof-Theaters mit seiner historisch informierten Klimaanlagenlosigkeit. Auch die Aussicht, vier Stunden Barockoper unter diesen Umstanden als einer von vielen tapferen Transpirateuren auf sich wirken zu lassen, dürfte nicht in jedem das Bild optimaler Sommergestaltung heraufbeschwören. Und selbst in einem Sonnenverächter wie mir keimten leise Zweifel. Mittlerweile weiß ich: völlig unbegründet.

Natürlich ist eine derartige Temperatur der Konzentration schon eher abträglich – Mitfiebern bekommt da eine ganz neue Bedeutung. Auf der anderen Seite erfährt der Begriff Hoftheater an einem solchen Tage eine ungeahnte Demokratisierung: In der Königsloge zählt man nicht weniger Schweißperlen als auf anderen Plätzen. Viel mehr jedoch ist die Aufführung ein schönes Beispiel dafür, wie relevantes, interessantes Theater – und sei es mehr als dreihundert Jahre unaufgeführt – solchen Widrigkeiten zum Trotz in den Bann schlägt, anregt, begeistert.

Dies lag in erster Linie am inspirierten Zusammenwirken aller Teilaspekte der Produktion. Hatte im Vorfeld vor allem die in Gotha zu bestaunende, original erhaltene Bühnenmaschinerie mit ihren fliegenden Kulissenwechseln mein Interesse geweckt, zeigte sich vor Ort jedoch schnell, daß es sich bei dem Festival hier nicht um eine Museumsvorführung mit Musikbegleitung, sondern um eine lebendige Zeitreise in die Welt barocker Opernpraxis handelt. Natürlich gibt es auch hier Zugeständnisse an aktuelle Gepflogenheiten, wie die Verdunklung des Zuschauerraums, jedoch wohl eher, um den Fokus auf das zu stärken, was man hier erarbeitet hat. Und das kann sich in jeder Beziehung hören und sehen lassen.

Dabei gerät die tadellose musikalische Darbietung mit dem Instrumentarium und in Spielweise des 17. Jahrhunderts angesichts einer ebenfalls historisch informierten Aufführungsweise des Szenischen, Darstellerischen für mich als absoluten Barocklaien fast schon in den Hintergrund. Das für mich Beeindruckendste war zweifellos das Erleben der – soweit dies heute überhaupt möglich ist – authentischen Inszenierung inklusive barocker Personenregie. Gerade das Agieren der Darsteller nach einem ausgefeilten Gestenkatalog gehört zum Faszinierendsten, dem ich in letzter Zeit beiwohnen durfte. Wo heute häufig im Theater der Ruf nach Authentizität und Nahbarkeit im Dienste einer Einbindung der Zuschauer ertönt, kann man hier den aus meiner Sicht nicht weniger involvierenden kompletten Gegenentwurf erleben.

Musiktheater als unbestreitbar künstliche Form der Vermittlung geht hier den Weg durch und durch artifizieller, strenger Formelhaftigkeit, um dem Publikum auch gerade auf visueller Ebene den Zugang zu erleichtern. Eine Art Informationschoreografie, die Gesungenes unterstützt, Beziehungen zwischen den Handelnden verdeutlicht, das Geschehen organisiert. Manche Geste läßt mich an Gebärdensprache denken, andere tragen ungemein dazu bei, auch optisch Spannung aufzubauen bzw. zu halten. Wer sich auf dieses Ballett der Gesten und Körper im Raum einläßt, entdeckt an diesem Nachmittag ein ganz neues – uraltes – Konzept für Musiktheater, dem nichts Antiquiertes anhaftet.

Natürlich, die Kostüme und Maske, auch die bemalten Prospekte verweisen auf eine vergangene Zeit, die emotionale Wirkung der Aufführung widerlegt jedoch den ersten Eindruck des Musealen. Es stellt sich mir daher die Frage, ob diese Art der szenischen Choreografie nicht auch beispielsweise in zeitgenössischen Werken – in welcher Form auch immer – Anwendung finden könnte, um auf diese Art die Brücke zum Publikum zu schlagen (Robert Wilson kommt mir da in den Sinn).

Bei aller Begeisterung für das Visuelle (inklusive diverser Balletteinlagen) soll nicht unter den Tisch fallen, daß die Musik selbst ihren Anteil an dieser fast schon kurzweiligen Veranstaltung hatte. Für ein Stück dieser Länge hält es überraschend reiche Beute musikalischer Abwechslung und Erbauung bereit. Höhepunkte an Inspiration und Intensität waren beispielsweise die Klage der Agrina, der Tod der Salomena oder die Arien bzw. Duette mit Countertenor-Beteiligung (Belochus). Das Ensemble lies kaum Wünsche offen, besonderen Eindruck machten neben den Sängern der genannten Rollen noch Markus Flaig als kraftvoller Arbaces sowie Jan Kobow in der bizarren Ausgestaltung der mäßig sympathischen Titelfigur. Zumindest mir erging es so, daß zu seinem selbstgewählten Ende doch Mitgefühl für den reichen armen Irren aufkeimte.

Dem Ekhof-Theater gilt mein Dank, mit dieser Produktion mein Verständnis für Barockes Musiktheater erheblich gemehrt zu haben, dem Stück mein Wunsch, daß es in den nächsten dreihundert Jahren häufiger zum Einsatz kommen möge.


Christian Ludwig Boxberg – Sardanapalus
Musikalische Leitung – Bernhard Epstein
Inszenierung und Choreographie – Milo Pablo Momm
Ausstattung und Kostüme – Jörg Meder
Bühnenbild – Jürgen Weiss, Bettina Schünemann
Szenische Beratung – David Matthäus Zurbuchen

Sardanapalus – Jan Kobow
Salomena – Antje Rux
Didonia / Diana – Elisabeth Göckeritz
Agrina / Juno – Theodora Baka
Belochus – Franz Vitzthum
Misius / Cupido – Kathleen Danke
Atrax – Sören Richter
Arbaces / Mars – Markus Flaig
Saropes – Johannes Weiss
Belesius – Felix Schwandtke

Orchester der Compagnie Opéra Baroque
United Continuo Ensemble
Tänzer der Compagnie l’espace

18. August 2012

S-H Festival Orchester – Manfred Honeck.
MUK Lübeck.

20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 7, Platz 20



Wolfgang Amadeus Mozart – Violinkonzert A-Dur KV 219 (Arabella Steinbacher)
Zugabe: Eugène Ysaÿe – Sonate für Violine solo Nr. 2, 1. Satz (Obsession)

(Pause)

Anton Bruckner – Sinfonie Nr. 7



Wie schön könnten Konzerte doch sein, wäre da nicht diese leidige Kleinigkeit, die allzu häufig wahren Genuss unmöglich macht – das Publikum. Andererseits kommt der Katalog der Verfehlungen nicht ohne ein gehöriges Maß Abwechslung daher – gehört man nicht zu der verschrobenen Minderheit, die sich unbedingt mit dem Konzert beschäftigen möchte, wird es so schnell nicht langweilig.

Ich notiere für den heutigen Abend: Eine solistisch in die Stille scheppernde Platzmarke. Ein leider etwas undeutlicher Handyton. Nach jedem Brucknersatz die akustische Simulation eines lauschigen Sommerregens mit Niederschlagsüberhang in den jeweils folgenden Satz hinein mittels vorbildlich synchron agierender Bonbonentfaltungsbrigaden. Das Erlebnis ursprünglicher Kommunikationsmuster anhand primitiver Hust-, Schnaub-, Grunz- und Röchelstafetten. Ein einsamer Recke, der den verdutzten Pünktlichsitzern der von ihm umgepflügten ersten Reihe eindrucksvoll demonstriert, daß es nie zu spät ist. Und schließlich der vielleicht berührendste Moment: Rechtzeitig zum Einsatz der Solistin läßt ein umsichtiger Musikliebhaber im ersten Rang etwas Großes, Klirrendes fallen, um noch mal die Konzentration seiner Hörgenossen zu schärfen – herrlich!

Ganz nebenbei wurde dann auch noch musiziert. Ein Violinkonzert des göttlichen Langweilers und nach der Pause zur Entschädigung Bruckner. Steinbacher und Honeck bewahren mich vor der üblichen einschläfernden Wirkung. Die Solistin mit feinem Ton, zerbrechlich, zart, intonationsrein, kontrolliert, teilweise fast zu gesittet – im entsprechenden Moment schon zupackend, dabei aber nie grob oder unbeherrscht. Bezeichnend: die immer wiederkehrende, weiche Bewegung des Arms beim Zurücknehmen des Bogens. Müßte ich ihr Spiel in einem Wort beschreiben, würde ich wohl ein „nobel“ aus der Attribute-Schublade fischen.

Dieser feine Zugang harmoniert vortrefflich mit Honecks Interpretation, die deutlich milder ausfällt, als erwartet. Wenn man es genau bedenkt aber eigentlich ganz in seiner Tradition, nur eben auf Mozart gemünzt. Leicht und luftig der erste Satz, dazu das Honeck-typische Herunterregeln der Lautstärke an die Grenzen der Verflüchtigung, um größtmögliche Kontraste zu erzielen. Im Final-Marsch wieder gewohnt energisch, geladen, federnd. Über die drei Sätze betrachtet aber eher elegisch-versonnen. Wenn schon Mozart, dann beispielsweise so.

Der ersehnte Bruckner hinterließ einen gemischten Eindruck. Ein äußerst interessantes Dirigat trifft auf die Gegebenheiten eines Orchesters, das in letzter Konsequenz nicht die nötigen Feinheiten aufzubieten vermag. Dabei ist das Schleswig-Holstein Festival Orchester beileibe kein schlechtes. Das stellt es vor allem im rhythmischen Taumel des Scherzo und dem knackigen Finale unter Beweis, wenn Honeck auf sein akzentuiertes Hochspannungs-Dirigat umschaltet. Das Besondere seiner Interpretation liegt – wie bereits im Mozart – jedoch nicht im Auftrumpfen, sondern in der Ausgestaltung leiser und leisester Passagen – hier durch die Einbindung in das schluchtartige dynamische Gefälle mit der Wirkung brutalster Fragilität. Für diesen behutsamen, fast schon kammermusikalischen Bruckner mangelt es dem Orchester – vor allem im Adagio – an Klangfarben, um jene Nuancen zum Blühen zu bringen. Insbesondere die Bläser werden dem Anspruch dieses Konzeptes nicht immer gerecht.

Doch auch wenn Blech und Holz sich mitunter allzu irdisch betrugen und nicht jedes Streicherunisono die Schwere des Profanen abzustreifen gewillt war, verbuche ich den Abend als Gewinn, da er mir wieder einmal die bestechende Kunst Honecks vor Augen und (mehrheitlich inneren) Ohren geführt hat.




3. August 2012

A Cavalier’s Tour (CD-Präsentation) – Concerto Grosso Berlin.
Zentralbibliothek Hamburg.

20:00 Uhr, freie Platzwahl



Johann Heinrich Schmelzer – Sonata G-Dur für Violine, Fagott und Basso continuo
Michel Corrette – Sonata F-Dur für Violine und Basso continuo
Willem de Fesch – Sonata op. 8,1 D-Dur für Violine und Basso continuo

(Pause)

Antonio Vivaldi – Sonata RV 12 d–Moll für Violine und Basso continuo
Georg Philipp Telemann – Duetto B-Dur TWV 40: 111 aus „Der getreue Musik-Meister“ für Blockflöte und Violino piccolo
Georg Friedrich Händel – Sonata HWV 392 F-Dur für Blockflöte, Violine und Basso continuo
Zugabe: Johan Helmich Roman – Ballo turcese für Violine, Fagott und Basso continuo

(Bea Hellhammer – Barockvioline und Violino piccolo, Thomas Rink – Barockfagott und Blockflöte, Gero Parmentier – Laute)


An Tagen wie diesem wird mir wieder mal bewußt, was ich an anderen besonders schätze: Begeisterungsfähigkeit. Der Gegenstand der Begeisterung spielt dabei für mich eine untergeordnete Rolle. Bildende Kunst, Mode, Gartenbau, Modelleisenbahnwesen, traditionelles Weidenkorbflechten – oder eben Barockmusik. Wo immer sich Menschen einer Sache verschrieben haben, die ihnen Freude bereitet, und in der Lage sind, dies plastisch zu vermitteln, springt der Funke für gewöhnlich auf mich über.

Um es deutlich zu sagen: So sehr ich Musik liebe, ist der sogenannten „alten Musik“ nur ein kleines Fleckchen auf meiner persönlichen Landkarte der Tonkunst beschieden. Ausreißer wie Bach oder Buxtehude – vor allem vor dem Hintergrund meiner Schwäche für Orgelklänge – bestätigen insgesamt doch nur die Regel: richtig heimisch in der Musik fühle ich mich erst ab Beethoven. Keine idealen Voraussetzungen für einen Abend mit reinem Barockprogramm, sollte man meinen.

Auch wenn es meinen Ausführungen sicher ein deutliches Dramatik-Plus verliehen hätte, kann ich an dieser Stelle zwar nicht mit einer Saulus zu Paulus-Episode aufwarten, wohl aber mit einem erfreulichen Fall erlebter Begeisterungsvermittlung. Es waren weniger die Werke selbst oder der stetige Kampf der Ausführenden mit der Intonationssensibilität ihrer launisch-knorrigen Werkzeuge, sondern vielmehr die nerdig-verzückt zum Besten gegebenen Zwischenansprachen des Herrn Rink, die mir diese Welt der Ausgrabungen und Ahnenpflege etwas näher gebracht haben.

Wenn vielleicht auch nicht jede Aussage dabei den Anspruch auf Überzeitlichkeit besaß, wahrscheinlich nie besitzen wollte, schwang in diesen kleinen Erklärungen, Überleitungen und Anekdoten doch außerordentlich viel von der Freude an Barockmusik mit. Freude an Entdeckungen, Freude an Vergleichen und Querverweisen, Freude an der Musik und nicht zuletzt am Musizieren. Letzteres erschloß sich dem Besucher im Spiel selbst nicht nur auditiv, sondern auch rein visuell, wenn man beispielsweise nur darauf achtete, mit welchem symbiotischem Behagen Einsätze vorbereitet und aufeinander abgestimmt wurden.

Noch einmal: Ich preise die Errungenschaften des neuzeitlichen Instrumentenbaus und seine klangliche Entwicklung. Aber wenn ich mich – für den einen oder anderen Moment – den barocken Meistern ein wenig näher zu fühlen glaubte, dann durch den engagierten Vortrag der Mitglieder des Concerto Grosso Berlin in den gänzlich unbarocken Hallen des Hamburger Hühnerpostens. Darauf einen Kratzfuß.