27. Januar 2013

West Side Story – Daniel Carlberg.
Anhaltisches Theater Dessau.

17:00 Uhr, Parkett rechts, Reihe 2, Platz 14 















Das war leider nichts. Oder zu wenig. In jedem Fall ein frustrierender Abend. Woran es lag, oder besser haperte? An allem. Im Nachhinein kann ich dem Landestheater Coburg nicht dankbar genug sein, dort – und nicht etwa heute – meine West Side Story Premiere erlebt zu haben (Link). So steht denn auch kein Zweifel am Gehalt des Stücks, sehr wohl jedoch wieder einmal die Erkenntnis im Raum, wie sehr ein großes Werk doch durch seine Darbietung entstellt werden kann.


Umso schwerer wiegt die Enttäuschung im Wissen darum, daß die Beteiligten sicher ihr Bestes für diese Produktion gegeben haben, dies letzten Endes für mich den Abend jedoch nicht weniger quälend ausfallen ließ. Und das auf allen Ebenen. Musikalisch: Um doch mit einem Funken Positivem zu beginnen, ist dem Orchester durchaus eine ordentliche Qualität nicht abzusprechen, (sieht man einmal von Aussetzern wie dem Hornsolo zu Beginn des Zweiten Aktes ab) – namentlich die Streicher sorgen für einige Momente, die über schlichtes Handwerk hinausgingen

Aber wie um die Kehrseite meines Ausspruchs von gestern – „was nützt das beste Orchester ohne gute Leitung“ – zum Vergleich wahr werden zu lassen, stellte Herr Carlberg eindrucksvoll unter Beweis, wie man aus eigentlich unverwüstlichen Nummern glatte, gesichtslose Abziehbilder ihrer selbst verbrechen kann. Dieses ewige, elendige Gefuchtel, weit ausladend, mit der beschwingt unbeschwingten Pseudoemphase des Musikverwalters, das untrügliche Charisma eines Oberstufenstrebers atmend, dem jedes Gespür für das Werk und seine Eigenarten abzugehen scheint – einfach unerträglich.

Um das klarzustellen: Herr Carlberg könnte wedeln wie er möchte – erzielte er damit nur irgend eine Wirkung beim Orchester, die über Harmloses, Zahnloses, Konturloses, Saft- und Kraftloses, in einem Wort Geplänkel hinausginge. Mein Hauptkritikpunkt ist dabei die Glättung jener rhythmischen Ecken und Kanten der Partitur, die den Charakter des Werkes, seine Sprengkraft ausmachen. Aber es blieb nicht bei luschiger, wabbelig-rückgratloser Ausgestaltung – an vielen Stellen waren Orchester und Sänger einfach mehrere Blocks weit auseinander. Das ist keine Frage des Geschmacks, sondern schlicht der Kompetenz.

Kommen wir bei diesem Stichwort zu den Darstellern, insbesondere den Sängern. Berührender Gesang speist sich aus mehreren Faktoren – beispielsweise einer schönen Stimme, der Phrasierung, den Klangfarben oder einfach nur aus einer bestimmten Intensität – die nicht einmal unbedingt immer in Personalunion auftreten müssen. Heute hingegen war es mir weitgehend unmöglich, Faktoren dieser Art ausfindig zu machen. Stattdessen: Sänger ohne Stimme, Sänger mit mangelnder Technik (Intonation!), Sänger ohne Timing, Gesang ohne Tiefe.

Einzig Karen Helbing als Anita sorgte für Momente der Leidenschaft, des Feuers, und brachte damit nur umso schmerzlicher zu Gehör, welches Potenzial der Partitur hier verschenkt wurde. Insbesondere die beiden Hauptrollen, das Liebespaar, ließen wenig vom Zauber der Musik entstehen. Ausdruckslos, hölzern, bemüht. Naja, die Solistin des Liedes „Somewhere“ war ok, damit hat es sich dann aber auch mit dem musikalischen Ertrag des Abends.

Bezeichnender Weise war es ebenfalls Frau Helbing, die auch szenisch als eine der wenigen – zumal der Sänger – den Punkt machte. Emotion überträgt sich durch mehr als ein brav einstudiertes rollendes R der Einwanderer, das vielfach alberne Attitüde blieb. Zorn, Sehnsucht, Verzweiflung glaubhaft zu vermitteln war leider außer der „Anita“ heute kaum jemandem vergönnt.

Bleibt noch die Inszenierung. Vielleicht hätte ich dem Treiben auf der Bühne etwas mehr abgewinnen können, wenn die musikalische Komponente nicht so erdrückend ernüchternd ausgefallen wär, so kam mir das alles eher wie die Arbeit einer Theater AG mit zuviel Geld vor. Also vom Aufwand her hat man sich nicht lumpen lassen, soviel steht fest. Die Drehbühne weidlich in diversen Szenenwechseln zur Geltung gebracht (eine kleine Parallele zu Coburg, allerdings alles viel größer dimensioniert), diverse ausladende Tanzchoreografien, inszenierte Kämpfe, eine Traumsequenz, ein modifizierter Schluß – unambitioniert sieht anders aus.

Nur: auch hier unterstelle ich niemandem böse Absicht, doch das Ergebnis ist Mist. Aus Gründen der Ermüdung daher nur in Stichworten: Alberne Stangenkämpfe à la American Gladiators mit spackiger Kampfchoreografie als Einstieg; übertrieben schrille Kostüme und Frisuren – eher Karnevals- als bühnentauglich; rein dekorative, mitunter zähe Tanzeinlagen ohne zwingende Integration in den Handlungsverlauf; „Aktualisierungen“ mit der Brechstange (Das Liebespaar simst – wie originell); immer wieder Klamauk und Albernheiten (unfreiwillig komischer Jets-Gruß, das holzschnittartige Gehabe beider Seiten, die peinlich-harmlose Verkleidungsposse beim Officer Krupke Song); zu guter Letzt der halbherzige Versuch, dem Stück insbesondere am Schluß über seine ja bereits klare Botschaft hinaus eine „eigene“ Facette aufzupfropfen (Anita erschießt Tony, schließlich die Allerwelts-Anklage „Wir alle haben ihn getötet!“ – Holzhammer-Sozialkritik). Als letzte Einstellung sehen wir die Selbstmordgeste Marias zum im TV wehenden Star-Spangled Banner. Viel hilft eben nicht immer viel.

Als Fazit getarnte Gemeinheit: Dessau ist berühmt für das Bauhaus und die Meisterhäuser – das ist doch auch was.

PS: Sollten Sie ihrerseits bei einem Besuch mit dem Gedanken spielen, in der Pause im Saal ihr Tablet zu zücken – lassen Sie es, da ist man in Dessau etwas eigen.


Leonard Bernstein – West Side Story
Musikalische Leitung – Daniel Carlberg
Inszenierung / Raumkonzept – Christian von Götz
Bühne – Britta Bremer
Kostüme – Katja Schröpfer
Choreografische Tanzszenen – Carlos Matos
Choreografische Kampfszenen – Klaus Figge
Choreografische Betreuung – Matthew Bindley
Chor – Helmut Sonne
Dramaturgie – Felix Losert

Die Jets
Riff, der Anführer – Matthew Bindley
Tony, Riffs Freund – David Ameln
Action – Patrick Rupar
A-Rab – Joshua Swain
Baby John – Joe Monaghan
Snowboy – Tizian Steffen
Big Deal – Jonathan Augereau
Diesel – Stephan Biener
Gee-Tar – Christian Aßmann
Mouthpiece – Stephan Seefeld

Ihre Mädchen
Graziella – Anna-Maria Tasarz
Velma, Riffs Freundin – Annelies Waller
Minnie – Anna Jo
Pauline – Charline Debons
Clarice – Nicole Meinhardt
Anybody’s – Susanne Hessel

Die Sharks
Bernardo, der Anführer, Marias Bruder – Juan Pablo Lastras-Sanchez
Chino, Bernardos Freund – Alexander Dubnov
Pepe – Enea Bakiu
Indio – Sokol Bida
Luis – Thomas Ambrosini
Anxious – Andreas Eichelbaum
Nibbles –Maik Bachmann
Juano – Fabian Fraßdorf

Ihre Mädchen
Maria, Bernardos Schwester – Cornelia Marschall
Anita, Bernardos Freundin – Karen Helbing
Rosalia – Jagna Rotkiewicz
Teresita – Laura Costa Chaud
Consuelo / Ein Mädchen („Somewhere“) – Anne Weinkauf
Francisca – Katja Sieder
Estella – Mélanie Legrand
Marguerita – Eunji Yang

Die Erwachsenen
Doc – Gerald Fiedler
Schrank – Karl Thiele
Krupke – Boris Malré
Glad Hand – Christel Ortmann

Mitglieder des Opernchores des Anhaltischen Theaters Dessau
Komparserie des Anhaltischen Theaters Dessau
Anhaltische Philharmonie

26. Januar 2013

A Midsummer Night’s Dream – Pawel Poplawski.
Theater Magdeburg.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 1, Platz 13

 

Die Erfahrung zeigt: Es gibt gute Gründe, Britten-Opern nicht live im Theater zu hören. Mit seinen Werken für den Konzertsaal verhält es sich häufig nicht anders. Diese Musik ist in weiten Teilen schlichtweg zu zerbrechlich für das profane Musikleben. Ihre Aufführung unter Alltagsbedingungen gleicht ein bißchen dem Versuch, ein Sandmandala bei Sturm anzufertigen. All die Feinheiten und Nuancen, das zarte Gewebe seiner Partituren, bedingen eine durch und durch behutsame, ich möchte sagen kammermusikalische Fürsorge, wie sie Werken allgemein selten auf der großen Bühne zu Teil wird. Hinzu kommt oft die Gnadenlosigkeit des Publikums, das nicht oder nur wenig mit dieser Musik vertraut und gewillt ist, das erforderliche Maß an Konzentration und Ruhe aufzubringen.

Nach dem heutigen Abend ist klar: Es gibt gute Gründe, eine Britten-Oper in Magdeburg zu hören. Gleich nach den ersten Takten fiel meine Anspannung in Bezug auf das Orchester ab, als wohlig duftige Streicherglissandi dem Graben entströmten. Zwei Worte –„ genau so“ – sollten mich die nächsten Stunden begleiten. Das Theater Magdeburg hatte mich ja bereits bei der Werther-Produktion im letzten Jahr tief beeindruckt (http://lautsplitter.blogspot.de/2012/04/20.html), und die gleichen Vorzüge sollten auch heute wieder zum Tragen kommen:

Das Haus besitzt eine verblüffend klare, anfassende Akustik, in der kein musikalisches Detail verloren geht, die einzelnen Orchesterstimmen exakt zu orten sind, gleichzeitig aber als perfekt ausgewogene, homogene Einheit das Ohr erreichen. Der erste Eindruck, hier einen Klangkörper höchster Güte vorzufinden, hat sich heute nur verstärkt. Angefangen bei samtweichen Streichern, die genau das richtige Timbre für das schnurrende Fundament der verwunschenen Elfenmusik besaßen, über schwerelos-zarte Holzbläser, butterweiche Harfenklänge bis hin zum profunden Blech, auf dessen neckisch quecksilbernde Fanfaren stets Verlaß war. Gerade bei den flinken Trompetensignalen Brittens wird ja gern mal rumgedeppt. Aber was nützt das beste Orchester ohne gute Leitung. Magdeburg scheint auch in dieser Beziehung glänzend aufgestellt. Stand beim Werther Herr Balke am Pult, so entlockte heute Pawel Poplawski der Magdeburgischen Philharmonie in jeder Beziehung Erstklassiges. Ein sensibles Dirigat, welches das flüchtige Gewebe der Partitur in einem nicht enden wollenden Fluß erstehen ließ.

Und was soll ich groß zu den Sängern sagen? Ich wiederhole mich: Eine derart homogene, qualitativ hochstehende Besetzung fast komplett aus dem hauseigenen Ensemble zusammenstellen zu können, verdient höchsten Respekt, zeugt von guter Arbeit und sollte das Magdeburger Publikum mit Stolz erfüllen. Einzig für die exotische Countertenor-Partie des Oberon und die Sängerin der Helena wurden Gäste hinzugezogen. Ich könnte jetzt ellenlang über die Vorzüge der einzelnen Stimmen schwadronieren, beispielsweise über das Leuchten Titanias, den hypnotischen, bittersüßen Schmelz Oberons, die Leidenschaft der verirrten und verwirrten Paare, das kraftvolle Organ des Esel-Handwerkers oder die betörenden Kantilenen des Elfenchores, aber ich belasse es diesmal dabei, dem Kollektiv meine Hochachtung und Dankbarkeit zu unterbreiten. Zu unkritisch? Ok, der Tenor des Lysander hätte hier und da, vor allem in den Ensemblestücken, etwas mehr Dampf haben können und manche Szene der Handwerkertruppe geriet vielleicht einen Deut zu gewollt komisch – womit wir allerdings schon bei der Inszenierung wären – aber das ist dann mehr die unnötige Suche nach dem Haar in der Suppe.

Also zur Inszenierung. Auch hier fügt sich alles auf vortreffliche Weise zu szenischer Stringenz und Harmonie. Mittels Drehbühne und eines Geflechts verwinkelter Wände und Türen werden die verschiedenen Schauplätze des Waldes realisiert, der sich nach der Pause als bloßes, offenes Rahmengerüst der Wandinstallation präsentiert. Der Prozess der Klärung, die Auflösung des Traumverwirrspiels, scheint bereits in Gang gesetzt. Wunderbar, wie die Darsteller in diesem etwas anderen Irrgarten agieren – suchen, zweifeln, träumen, finden. Das verbindende Element der verschiedenen Handlungstränge, gewissermaßen der personifizierte Feenstaub, der alles zusammenhält, liegt ganz bei der Figur des Puck, der heute auf wahrlich zauberhafte Weise durch das überbordend energiegeladene Spiel Heide Kalischs Leben eingehaucht wurde. Herrlich derb und schelmisch, viril und gleichsam kindisch, ein Wesen aus einer anderen Sphäre und dennoch allzu menschlich. Die schrillen Kostüme der Bewohner des Elfenreichs schließlich boten einen zwingenden Kontrast zur Menschenwelt und unterstrichen insgesamt das Moment der Phantasie.

Am Ende brandete begeisterter Beifall durch das diesmal gefüllte Haus, offenbar weiß man in Magdeburg doch, was man an seinem Theater hat – ich für meinen Fall muß mich spätestens nach diesem zweiten Besuch als Fan outen und freue mich jetzt schon auf weitere Besuche.


Benjamin Britten – A Midsummer Night’s Dream
Musikalische Leitung – Pawel Poplawski
Regie – Aniara Amos
Bühne – Aniara Amos, Paula Wellmann
Kostüme – Sarah Rolke
Dramaturgie – Ulrike Schröder
Choreinstudierung – Martin Wagner

Oberon, König der Elfen – Gerald Thompson
Titania, Königin der Elfen – Julie Martin du Theil
Puck – Heide Kalisch
Theseus, Herzog von Athen – Johannes Stermann
Hippolyta, Verlobte des Theseus – Undine Dreißig
Lysander – Andreas Früh
Demetrius – Kartal Karagedik
Hermia – Lucia Cervoni
Helena – Anneli Lindfors
Bottom, der Weber – Martin-Jan Nijhof
Quince, der Zimmermann – Paul Sketris
Flute, der Bälgeflicker – Manfred Wulfert
Snug, der Schreiner – Mario Solimene
Snout, der Kesselflicker – Markus Liske
Starveling, der Schneider – Roland Fenes
Cobweb, Elfe – Jenny Stark
Peaseblossom, Elfe – Farah Hack
Mustardseed, Elfe – Kathrin Stoppel
Moth, Elfe – Ilka Hesse

Damenchor des Theaters Magdeburg
Statisterie des Theaters Magdeburg
Magdeburgische Philharmonie

13. Januar 2013

Rienzi – Sebastian Lang-Lessing.
Deutsche Oper Berlin.

18:00 Uhr, Parkett links, Reihe 3, Platz 21



In Bezug auf die Inszenierung habe ich meinen Ausführungen vom April nichts hinzuzufügen: (Link) Der Wunsch, meinen uneinheitlichen Ersteindruck durch einen zweiten Besuch zu überprüfen, hatte lediglich ein dreistündiges Emotions-Déjà-vu zum Ergebnis.

Dennoch war es bei Leibe keine vertane Audienz beim Tribun – Torsten Kerl sei Dank. Durfte ich beim letzten Mal schon sein bühnenwirksames Agieren bewundern, kam ich heute auch in den Genuss seiner Stimme. Ich kann nun sagen, daß ich mich jetzt erst recht auf den Bayreuther Tannhäuser freue wie Bolle – so soll ein Wagner-Tenor für meinen Geschmack klingen. Kräftig, strahlend, schneidend, aber nicht schrill. Zudem besitzt sein Tenor etwas Nasales – was mich für gewöhnlich eher abschreckt – seiner Stimme jedoch eine wunderbar edle, balsamige Note verleiht. Generell gefällt mir auch dieser dunkle, volle Einschlag gerade in tieferer Lage. Und last but not least: man versteht den Mann! Vorbildlich, diese Textverständlichkeit. Wer da noch zu den Übertiteln schielt, gehört zum Ohrenarzt oder sollte einen Kursus in Konzentration belegen. Im „Gebet“ ließ der GröFaZ dann hier und da die Zügel schleifen – aber nur im Dienste sehr gern gehörter Legato-Wonnen. Kurz: In Kombination mit dem darstellerischen Gespür ein Sänger, der ohne Probleme das Zentrum einer jeden Produktion bilden kann, die einen Heldentenor in Lohn und Brot hält. Da hätten es ruhig ein paar Bravos mehr sein können, liebe Berliner.

Selbige konnte vor allem Daniela Sindram als Adriano für sich verbuchen, und das mit Recht. Ihr wundervoller Mezzo sorgte – insbesondere auch in den gemeinsamen Momenten mit Manuela Uhl – für gefühlvolle Höhepunkte. Die Sängerin der Irene ist und bleibt für mich das Ideal des sinnlich-berauschenden, gleichsam verletzlich-zärtlichen Soprans. Am heutigen Abend wieder mit einer Demonstration der Inbrunst. Von den weiteren Sängern stach Tobias Kehrer heraus, der als Colonna stimmlich ein glaubhaftes Gegengewicht zu seinem ihm verhaßten Widersacher darstellte.

Fazit: Es bleibt dabei – Die Produktion verfolgt einen äußerst interessanten Ansatz und scheitert am Ende eben in seiner konsequenten Umsetzung. In Wagners Rienzi steckt vielleicht doch mehr als die Summe einzelner Diktatoren – Erlöserwahn hin, Marschmusik her.


Richard Wagner – Rienzi, der letzte der Tribunen
Musikalische Leitung – Sebastian Lang-Lessing
Inszenierung – Philipp Stölzl
Co-Regie – Mara Kurotschka
Bühne – Ulrike Siegrist, Philipp Stölzl
Kostüme – Kathi Maurer, Ursula Kudrna
Video – Fettfilm (Momme Hinrichs und Torge Møller)
Chöre – William Spaulding

Rienzi – Torsten Kerl
Irene – Manuela Uhl
Steffano Colonna – Tobias Kehrer
Adriano – Daniela Sindram
Paolo Orsini – Krzysztof Szumanski
Kardinal Orvieto – Lenus Carlson
Baroncelli – Clemens Bieber
Cecco del Vecchio – Stephen Bronk

Chor der Deutschen Oper Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin

3. Januar 2013

Sängersalon – Franz Grundheber.
Staatsoper Hamburg.

20:00 Uhr, freie Platzwahl
Warum ich die Gesprächsreihe Sängersalon in meinen Planungen bisher nicht auf dem Schirm hatte, kann ich nicht sagen. Hat sich irgendwie nie ergeben. Umso dankbarer bin ich, nun gleich mit solch einem Abend eingestiegen zu sein. Franz Grundheber. Ich hatte mir natürlich Einiges von diesem Gast erhofft, mit einer derartigen Sternstunde aber nun auch wieder nicht gerechnet.

Ich habe selten einen Menschen erleben dürfen, der so herzlich und bewegend aus seinem ereignisreichen (Künstler-)Leben erzählt, und dabei nie die Aura des Weltstars bemüht, sondern selbst in der Ausführung seiner größten Triumphe Bescheidenheit und nicht zuletzt Dankbarkeit ausstrahlt. Ich hätte ihm problemlos bis tief in die Nacht zuhören können, wie er Geschichten und Anekdoten aus seiner Erinnerung lebendig werden läßt, seinen Werdegang umreißt und dabei eine Gelassenheit und Ruhe ausstrahlt, die einfach unglaublich sympathisch ist.

Herzlich ehrlich und uneitel, wie er beispielsweise den Moment schildert, in dem ihn seine Frau fragte, ob er denn immer noch die Rolle des (juvenilen) Figaro geben müsse. Erste Gesangserlebnisse in seiner Heimatstadt Trier, Vorbilder, Lehrer und Förderer, Erzählungen über den Umgang mit Kollegen und Weggefährten – das alles sagt mehr über den Künstler und vor allem auch den Menschen Franz Grundheber aus, als es die Lektüre einer dicken Biografie könnte. Hans-Jürgen Mende als Gesprächspartner hielt sich, im Wissen darum, daß der Abend „läuft“, angenehm zurück und beschränkte sich auf die grobe Einhaltung des angestrebten Rahmens – nur um Herrn Grundheber dann doch immer wieder mit Freuden davon abweichen zu lassen.

Mehrere Ton- und Videodokumente runden das Gespräch ab, beispielsweise ein seltener Audio-Mitschnitt als Hans Sachs bei einer Veranstaltung des Trierer Gesangvereins oder seine unglaublich fesselnde Verkörperung des Wozzecks an der Seite Waltraud Meiers. Besonders interessant auch, wenn das Thema auf den Gesang als solchen kommt. Grundheber betont, daß es ihm dabei immer darum ginge, über bloßes Singen hinaus eine Geschichte zu erzählen, etwas mitzuteilen. Er spricht davon, wie sehr es der Vermittlung diene, den Blick zu fokussieren oder steigt auch in die Technik ein, indem er erläutert, daß es z.B. weitaus wichtiger für die Textverständlichkeit sei, lange und kurze Silben – im Zweifel auch gegen Notenwerte – herauszubilden, als bloß Konsonanten zu forcieren.

Beneidenswert gelassen kommt er auch auf das Älterwerden zu sprechen. Für einen Mathis habe er zwar keine Kondition mehr, aber während er über neue, interessante Rollen für „das Alter“ sinniert, wie den Schigolch in Bergs Lulu, funkeln seine Augen und ein verschmitztes Lächeln der Vorfreude huscht über sein Gesicht. Grundheber beschließt den Sängersalon, wie er ihn eröffnet hatte – Singenderweise: Das vertonte Gespräch zweier Würmer, Ohrwurm und Bohrwurm, eine Humoreske, eine kleine Albernheit als Rausschmeißer – eine weitere, unerwartete Spielart, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Sehr sympathisch.

Zu meinen stärksten Eindrücken auf der Opernbühne gehört Grundhebers Gestaltung des Simon Boccanegra an der Staatsoper Hamburg vor einigen Jahren. Insbesondere die Sterbeszene des Dogen hat mich damals tief erschüttert, weil sie mir vor Augen geführt hat, wieviel sich allein durch einen Blick aussagen läßt. Diesen Ausdruck der Erschöpfung, eines melancholischen Abschiednehmens, jedoch ohne Bedauern, der dann im Moment des Sterbens für einen Wimpernschlag in einer aufgehellten, überraschten und gleichsam wissenden Mine gipfelt, werde ich nie vergessen. Der heutige Abend hat mir den Menschen hinter dieser Kunst auf angenehmste Art und Weise ein Stück näher gebracht.