30. Juni 2013

Eine florentinische Tragödie / Der Zwerg –
Jonathan Darlington.
Opernhaus Düsseldorf.

14:30 Uhr Einführung, 15:00 Uhr, Orchestersessel links, Reihe 2, Platz 49



Doppeltes Fiasko in Düsseldorf. Was ist denn bitte so schwer daran, in die Birne zu bekommen, daß man Werken, die sich eh nur alle Jubeljahre mal in den Spielplan verirren, mit verschwurbelten Hirnwichsinszenierungen keinen Gefallen tut? Da kann man die funkelndsten Perlen heben, in solcher Schale wird man die Herzen des Publikums schwerlich für Raritäten selbst dieser Güte erwärmen. Und dabei gehören Zemlinskys Einakter doch zu den bekannteren Stiefkindern des Opernbetriebs. Ich fasse es einfach nicht, wie man es so in den Sand setzen kann – aber hey, das letzte Mal waren die beiden hier ja schließlich auch erst in den Zwanzigern zu erleben – klar, man möchte die Stücke nicht verramschen.

Doch ei der Daus, genau das ist der Deutschen Oper am Rhein mit dieser Produktion im Handstreich gelungen. Und das beileibe nicht durch Misstöne aus Graben oder Kehlen, mitnichten (aber das Musikalische verkam heute gezwungenermaßen zur Randnotiz), es reichte einfach der zwiefache Rein- bzw. Ausfall der Gesellen Klimo und Karaman, um Zemlinsky zumindest für die aktuelle Generation Düsseldorfer den Garaus zu machen. Äußerst schade, zumal die musikalische Qualität der Rheinoper auch heute seinen Teil zu einem potenziellen Gesamtgelingen beitrug.

Frau Klimos Inszenierung der florentinischen Tragödie ist nichts als ein Verbrechen am dramatischen Gehalt des Stückes. Selten habe ich eine Regie erlebt, die so brutal gegen den natürlichen inhaltlichen und musikalischen Fluß arbeitet. Ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich ernsthaft auf Werk, Musik und Aussage einlassen wollen. Statt einer Regie, die den Zuschauer auf seinem Weg begleitet und vielleicht auch leitet, sieht man sich mit Westentaschenpsychologie und Bildern konfrontiert, die man ohne entsprechenden Hintergrund schwerlich versteht, zusammengezwängt in ein Traummäntelchen, unter dem man sich herrlich kryptisch auszutoben getraut.

Es ist doch ganz einfach: All die symbolüberfrachteten, artifiziellen Winke mit Zaunpfählen sind nicht nur überflüssig, weil sie die vor allem in der Musik angelegte Tiefe(npsychologie) nur ankratzen oder im Zweifel verzerrt vermitteln, sondern versperren vielmehr den Zugang und verwandeln das Stück in eine kolossale Nervensäge. Es ist mir schlicht und ergreifend scheißegal, warum Simone ein Glas auf dem Regenschirm trägt, was Bardis Schattenspielgesten zu bedeuten haben oder welchem Volkshochschulkurs Traumdeutung das wechselseitige symbolische Verspeisen entstammt (Leider hatte ich meinen Freud- und Magritte-Pschyrembel grad nicht zur Hand). Die szenische Krücke des Harlekins hilft da auch nicht weiter. Er bringt halt die dämlichen Hüte und anderes Spielzeug – was soll’s. Da kann das Orchester zum Finale den Triumph Simones und das Erstarken von Biancas Lust noch so aufrauschen lassen – übrigens mit wunderbar sonor krönendem tiefen Blech – Der Gesamteindruck nuckelt entnervt an seiner Seifenblasenpfeife und seufzt leise: Klamauk.

Von diesem grausamen Bauchladen der Lächerlichkeit geerdet, ereilte mich nach der Pause die nächste Enttäuschung, die im Nachhinein betrachtet vielleicht sogar noch bitterer ausfiel, weil Herr Karaman auch hier in Ansätzen das Talent aufblitzen ließ, daß mich teilweise schon bei „Billy Budd“, vollends jedoch bei „The Turn of the Screw“ (Link) in den Bann geschlagen hatte. Auch hier die eine Variation der gleichen Frage: Warum so kompliziert? Warum nimmt man diese Geschichte, um eine ganz andere zu erzählen? Das Argument, welches bei Wagner gern als Feigenblatt für Mumpitz-Regie herhalten muß, die klassische Inszenierungs- und Rezeptionsgeschichte habe sich schließlich mittlerweile totgelaufen, dürfte hier etwas schwach auf der Brust daherkommen ... die Zwanziger, wir erinnern uns. Was also mag Herrn Karaman anstelle von Übersättigung getrieben haben, NICHT „Der Zwerg“ zu inszenieren, sondern „Skandal im Mädchenheim“? Ich überlege kurz, Moment ... Und dann fällt es mir wieder ein: Wurscht! Ich wollte ja den Zwerg sehen, und so heißt es: Thema verfehlt.

Spätestens wenn der Zwerg am Ende in rührendster Anflehung der Prinzessin förmlich vergeht, sie möge das Gesagte zurücknehmen, ist die Regie ein einziger Tritt zwischen die Beine der Partitur. Mein Mitleid für notgeile Priester hält sich überraschenderweise in Grenzen. Ach, es ging der Regie hier gar nicht darum, Mitleid zu erwecken, sondern vielmehr ... STOPP – es interessiert mich nicht für fünf Pfennig, warum Herr Karaman diesen „Kunstgriff“ tat, er hätte aus meiner Sicht einfach seinen verdammten Job machen sollen. Zu engstirnig? Zu konservativ? Ganz und gar nicht, nur ungemein enttäuscht, daß hier ein Theatermensch nicht an das immense szenisch-dramatische Potenzial dieses Märchens geglaubt hat, und etwas „Eigenes“ daraus machen mußte. Von mir aus hätte die Sache auch auf einem Schulhof im hier und heute als Mobbing-Drama oder meinetwegen auch auf dem Mond spielen können, wäre man beim Kern geblieben. Eigen- und Fremdwahrnehmung, der Umgang mit Gefühlen, Sehnsüchten und auch Zurückweisung – wir sprechen hier schließlich nicht von einem überkommenen spanischen Hofzeremoniell, sondern – wie eigentlich immer, wenn es ans Eingemachte geht – vom rein Menschlichen, Überzeitlichen.

Und nochmal: Doppelt, dreifach bedauerlich ist es, weil Herr Karaman und sein Team ihr Handwerk schon verstehen. Dafür muß ich nicht in Erinnerungen an die faszinierend bedrückende Umsetzung der inneren und äußeren Dämonen in „The Turn of the Screw“ schwelgen, auch die aktuelle Produktion spielt rein „technisch“ unzweifelhaft in der ersten Liga. Das morbide, kunstvoll ausgeleuchtete, trotz seiner Strenge flexibel eingesetzte Bühnenbild; die intelligente Personenregie, insbesondere in den Chorszenen virtuos, die Akteure je nach Situation sinnhaft staffelnd und akzentuierend; bis hin zur fast poetischen Choreografie der sich spiegelnden Clara und Ghita – all diese Elemente zeugen von großer Meisterschaft und Liebe zum Detail, daß man ins Programmheft beißen möchte, so schade ist das. Aber es hilft ja nichts. Bleibt nur zu hoffen, daß Herr Karaman sein Talent in Zukunft wieder an Stoffen erproben kann, die ihm aus sich selbst heraus Inspiration zuführen.

So bleibt für Zemlinsky leider zweimal das Fazit: Ein ganz mieser Bauchklatscher am Rhein.


Alexander Zemlinsky – Eine florentinische Tragödie
Musikalische Leitung – Jonathan Darlington
Inszenierung – Barbara Klimo
Bühne – Veronika Stemberger
Kostüme – Frank Bloching
Licht – Volker Weinhart
Dramaturgie – Hella Bartnig

Guido Bardi – Corby Welch
Simone – Anooshah Golesorkhi
Bianca – Janja Vuletic
Harlekin – Ronaldo Navarro

Statisterie der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker


Alexander Zemlinsky – Der Zwerg
Musikalische Leitung – Jonathan Darlington
Inszenierung – Immo Karaman
Bühne und Kostüme – Nicola Reichert
Licht – Volker Weinhart
Chor – Christoph Kurig
Dramaturgie – Hella Bartnig

Donna Clara – Sylvia Hamvasi
Ghita – Anke Krabbe
Der Zwerg – Raymond Very
Don Esteban – Stefan Heidemann
Die erste Zofe – Elisabeth Selle
Die zweite Zofe – Alma Sadé
Die dritte Zofe – Iryna Vakula
Die erste Freundin – Jessica Stavros
Die zweite Freundin – Luiza Fatyol

Damenchor der Deutschen Oper am Rhein
Statisterie der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker

Symphoniker im Foyer – Matinee.
Opernhaus Düsseldorf.

11:00 Uhr, freie Platzwahl



Franz Schubert – Sonate Nr. 15 C-Dur D 840 für Klavier

Hugo Wolf – Vier „Mignon-Lieder“
Mignon I: „Heiß mich nicht reden, heiß mich schweigen“
Mignon II: „Nur wer die Sehnsucht kennt“
Mignon III: „So lasst mich scheinen, bis ich werde“
Mignon: „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn“

(Pause)

Franz Schubert – Trio B-Dur D 898 für Violine, Violoncello und Klavier

(Sarah Ferede – Mezzosopran, Martin Schäfer – Violine, Gilad Kaplansky – Violoncello, Stephen Harrison, Laura Poe, Ville Enckelmann – Klavier)



Musikalisches Vorglühen in Düsseldorf vor dem nachmittäglichen Hauptgang. Noch leicht im Schwitzkasten der Müdigkeit, musiziert man eher gepflegt an meiner Aufmerksamkeit vorbei. Trotzdem: Frau Ferede weiß mit ihrem klaren, weichen Mezzo auch den Sonntagsmorgenmuffel zu betören – eine schöne Stimme!

28. Juni 2013

Hindemith-Einakter – Andreas Hotz.
Theater Osnabrück.

19:30 Uhr, Parkett rechts, Reihe 4, Platz 83



Es ist schon mal nicht so richtig schlau, mit dem Niederschreiben von Eindrücken so lange zu warten, bis selbige bereits beinahe drei Jahre zurückliegen. Richtig dumm wird es aber dann, wenn man sich „damals“ keine Notizen gemacht hat. Nicht. Eine. Einzige. Pech gehabt, aufgeschoben ist nicht – auch ein dummer Spruch. Wollen wir doch mal sehen, welche Erinnerungen sich noch so rekonstruieren lassen.

Die an einen rundum gelungenen Abend in erster Linie mal. Gut, das kann jeder behaupten, klingt versöhnlich und schon ist man glimpflich raus aus der Nummer. War aber tatsächlich so. Nach dem ersten Besuch des Osnabrücker Theaters zur Operngala (Link), war dies der angestrebte Test unter Repertoirebedingungen. Von Hindemiths Opern hatte ich bis dato nur „Mathis der Maler“ und „Cardillac“ live erlebt und lieben gelernt, Osnabrück sollte diese Zuneigung nun um gleich drei Kapitel auf einmal ausbauen.

Deren erstes, „Mörder, Hoffnung der Frauen“, ist mir als radikale, alles andere als sentimentale Betrachtung der Konstellation Mann und Frau im Gedächtnis geblieben, die sich vielleicht nicht unbedingt als Abendempfehlung fürs erste Date aufdrängt. Die Verlegung des zweiten Werks, „Das Nusch-Nuschi“, in die frivolen Auswüchse einer Betriebsfeier, war in seiner bissig-satirischen, entlarvenden Wirkung das szenische Prunkstück des Abends. Wobei auch der Abschluß, „Sancta Susanna“, mit seiner klaustrophobischen Inszenierung der unheilvollen Mutter-Tochter-Drangsal eine schlüssige Überführung des geistlichen Inhalts ins Privat-Säkulare bot.

Eine schlüssige Einzelkritik der Mitwirkenden entbehrt nach all der Zeit leider jegliche Grundlage, dennoch wird es seine Gründe gehabt haben, daß dieser Besuch bei mir auch musikalisch äußerst positiv abgespeichert ist. Mein Fazit aus der Zeitmaschine daher: Dreimal Hindemith in Osnabrück – eine dreifach sehens- und hörenswerte Produktion.


Paul Hindemith – Drei Einakter
Musikalische Leitung – Andreas Hotz
Inszenierung – Jochen Biganzoli
Bühne – Wolf Gutjahr
Kostüme – Katharina Weissenborn
Choreografie – Günther Grollitsch
Choreinstudierung – Markus Lafleur
Dramaturgie – Ulrike Schumann

Mörder, Hoffnung der Frauen

Der Mann – Daniel Moon
Die Frau – Lina Liu
Erster Krieger / Dritter Krieger – Mark Hamman
Zweiter Krieger – Genadijus Bergorulko
Erstes Mädchen – Susann Vent
Zweites Mädchen – Almerija Delic
Drittes Mädchen – Marie- Christine Haase

Das Nusch-Nuschi

Mung Tha Bya, Kaiser von Burma / Ein Bettler – Mark Sampson
Ragweng, der Kronprinz – Silvio Heil
Feldgeneral Kyce Waing / Der Zeremonienmeister – Genadijus Bergorulko
Henker / 1 . Herold – Daniel Moon
Susulü, der Eunuch des Kaisers – Ulrich Enbergs
Tum tum – Mark Hamman
Kamadewa / 2. Herold – Daniel Wagner
Die vier Frauen des Kaisers
Bangsa – Lina Liu
Osasa – Marie-Christine Haase
Twaise – Almerija Delic
Ratasata – Susann Vent
1. Bajadere – Marie-Christine Haase, Radoslava Yordanova
2. Bajadere – Kathrin Brauer, Susann Vent
Zwei dressierte Affen – Stefan Kreimer, Andreas Schön
Richard Wagner – Peter Kovacs
Asiatisches Vorspiel – Chihiro Meier-Tejima, Jong-Bae Bu, Mario Lee, Ji-Seong Yoo

Sancta Susanna

Susanna – Lina Liu
Klementia – Almerija Delic
Alte Nonne – Eva Gilhofer

Chor und Extra-Chor Herren des Theaters Osnabrück
Osnabrücker Symphonieorchester

16. Juni 2013

Der Rosenkavalier – Christian Thielemann.
Semperoper Dresden

16:45 Uhr Führung, 18:00 Uhr, 4. Rang, Sektion R4MI, Reihe 1, Platz 32



Nicht per Rosenkavalier-Sonderzug, sondern in gänzlich unfestlicher Regionalbahn geht es von Chemnitz zur Uraufführungsstätte an die Elbe. Diesmal keine Zeit für Sandsteinromantik und Canaletto-Blick, dafür umso mehr Vorfreude auf eine luxuriöse Besetzung und die Thielemannsche Wunderharfe. Eine kleine Führung durch die ehrwürdigen Hallen sorgt für die nötige Einstimmung. Leider eine etwas oberflächliche Angelegenheit, will sagen man tapert nicht wie in der Lindenoper auch durch die Eingeweide von Bühnenbereich, Garderobe oder Fundus, sondern bleibt hübsch im Stucco lustro- und Scagliola-Glanz der ohnehin zugänglichen Räumlichkeiten. Dafür gab’s auch hier ne Menge Hintergründe und Anekdoten von der netten Dame.

Als mit typisch germanischen Nörgelgenen Geschlagener ist dieses Haus natürlich ein Ort schier zum Verzweifeln – man findet keine Schwachstelle. Optisch, atmosphärisch, künstlerisch ... doch halt, einen Kritikpunkt konnte ich doch in mühevoller Kleinarbeit isolieren: Die Brezeln sind zu trocken! Echt jetzt. So! Nimm dies, Semperoper, Hain der Makellosigkeit! ... Nein, nein, es ist müßig zu bohren – die Qualität, die ich hier unter dem güldenen Kronleuchter mit den spiegelverkehrten Sachsen-Wappen genießen durfte, verdient ohne wenn und aber das altmodische Gütesiegel Weltklasse. Da knirscht der Pfeffersack mit den Zähnen, da ehrfürchtet der Wahl-Hanseat.

Auch vor einer Regie, so unprätentiös und gleichzeitig so klar und fesselnd, wie man es sich nur träumen kann. Ein neuerlicher Beleg, daß eine klassische Umsetzung, die „nur“ das vorhandene Textbuch inszeniert, alles andere als ein Ausdruck von Einfallslosigkeit sein oder gar Langeweile zur Folge haben muß. Schon allein die visuelle Ausgestaltung des Vorspiels der Oper – Das Paar kommt von Fest und Liebe berauscht nach Hause und teilt das Bett bis zum Morgengrauen – ist eine Miniatur inszenatorischer Raffinesse. Das lebendige Spiel der Darsteller, der Lichtwechsel zum Sonnenaufgang – das macht alles Sinn und sieht dabei auch noch verdammt gut aus. Was man im Folgenden der ganzen Aufführung bescheinigen kann.

Und wenn sich dann zu dramaturgisch-visuellem Glanz ein entsprechendes auditives Vergnügen gesellt, entfaltet sich daraus eine Wirkung, die den Bereich des Unwiderstehlichen eröffnet. Frau Schwanewilms sorgt als Marschallin – so zart, so fein, so mild, so edel, oder einfach: himmlisch – in Kombination mit Thielemanns subtiler Führung und dem Samt der Staatskapelle für Momente, im Augenblick ihrer Entstehung als so kostbar empfunden, daß mir auch noch die dickste Portion Pathos bei der Nacherzählung und Einordnung mager erscheint. Oder: Wohl dem, der Euphorie sucht und sie tatsächlich findet.

Mit welcher Intensität und Wärme Frau Schwanewilms die Selbstreflektion der „Resi“ über sich und die Zeit rüberbringt – wobei diese Leistung eigentlich wenig mit „rüberbringen“, als vielmehr mit „sein“ zu tun hat – das geht einfach zu Herzen. Und dann dieses Pianissimo – traumhaft! Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle auch die verblüffend präsente Akustik im 4. Rang – faszinierend, welche Feinheiten es in diesem herrlichen Saal hinauf bis unters Gebälk schaffen!

Elīna Garanča als Octavian und Anna Prohaska als Sophie komplettierten das makellose Terzett-Personal, wobei mir die Berliner Kombination Kozená/Prohaska noch etwas mehr zusagte. Geschmackssache. Peter Rose wie gewohnt souverän. Generell tut seine Interpretation dem Ochs ausgesprochen gut, weil er die Rolle über das belächelbar Tölpelhafte hinaus mit etwas unberechenbar Linkischem, fast schon Dämonischen anfüllt, wodurch der Baron-Bauer deutlich mehr ernsthafte Gefahr für das junge Glück ausstrahlt. Und das besondere Nebenrollen-Bonbon: Kein Geringerer als Bryan Hymel schmachtete zum Lever.

Fazit: Nach den wunderbaren Abenden in Bremen (Link) und Berlin (Link) nun schon die dritte Rosenkavalierbegegnung der Spitzenklasse in Folge. Dreimal anders, dreimal erfüllend – mal sehen, wie lange diese Serie hält.


Richard Strauss – Der Rosenkavalier
Musikalische Leitung – Christian Thielemann
Inszenierung – Uwe Eric Laufenberg
Bühnenbild – Christoph Schubinger
Kostüme – Jessica Karge
Chor – Paolo Assante

Die Feldmarschallin, Fürstin Werdenberg – Anne Schwanewilms
Der Baron Ochs auf Lerchenau – Peter Rose
Octavian, ein junger Herr aus großem Haus – Elīna Garanča
Herr von Faninal, ein reicher Neugeadelter – Martin Gantner
Sophie, seine Tochter – Anna Prohaska
Jungfer Marianne Leitmetzerin, die Duenna – Irmgard Vilsmaier
Valzacchi, ein Intrigant – Thomas Ebenstein
Annina, seine Begleiterin – Helene Schneiderman
Ein Sänger – Bryan Hymel
Der Haushofmeister bei der Feldmarschallin – Kenneth Robertson
Ein Notar – Mathias Henneberg
Der Haushofmeister bei Faninal – Tom Martinsen
Ein Tierhändler – Mert Süngü
Ein Wirt – Dan Karlström
Eine Modistin – Nadja Mchantaf
Ein Polizeikommissar – Peter Lobert
Ein Hausknecht – Hans-Ulrich Ohse
Kellner – Markus Hansel, Klaus Milde, Andreas Heinze, Andreas Burghardt
Die adligen Waisen – Elisabeth Zharoff, Norma Nahoun, Barbara Senator
Leopold, Sohn des Ochs – Dirk Wolter
Die Lerchenauischen – Alexander Födisch, Michael Wettin, Thomas Müller, Mirko Tuma, Werner Harke, Holger Steinert
Die Lakaien der Marschallin – Jun-Seok Bang, Norbert Kleese, Ingolf Stollberg, Matthias Beutlich
Der kleine Mohr – Leonardo Cruz

Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Sächsische Staatskapelle Dresden
Mitglieder der Komparserie
Mitglieder des Kinderchores

15. Juni 2013

Vasco de Gama (L’Africaine) – Anja Bihlmaier.
Opernhaus Chemnitz.

17:30 Uhr Einführung, 18:00 Uhr, Parkett links, Reihe 3, Platz 65



Nach Chemnitz fahre ich ausgesprochen gern. Das Auge ruht auf dem schmucken Theaterplatz mit seinem imposanten Triptychon, ein nettes kleines Hotel liegt nur einen Katzensprung entfernt – so läßt es sich leben. Natürlich auch bzw. in erster Linie, weil Gewissheit herrscht, daß man hier darüber hinaus künstlerisch auf seine Kosten kommt.

Nach einer überaus sympathisch vermittelten, leicht und locker frei vorgetragenen Einführung finde ich mich in gespannter Erwartung im Saal ein, wo erst mal ein seltener wie unbeabsichtigter dramaturgischer Effekt an mein verdutztes Ohr dringt: Der sakrale Teil besagten Triptychons meldet sich zu Wort – man läutet zur Messe. Als das kurze Ständchen durch St. Petri verklungen ist, liegt meine volle Aufmerksamkeit wieder auf dem faszinierenden Schwanengesang Meyerbeers.

Die Akustik ist auch bei leerer Bühne sehr gut, es ergeben sich schöne Hallwirkungen, beispielsweise anfangs in den intimen Passagen der Inès (Guibee Yang, deren Goldkehlchen bereits in „Die schweigsame Frau“ (Link) bezaubern durfte – kristallin und doch zu Herzen gehend), wenn die Orchesterbegleitung jeweils für kurze Zeit verstummt. Überhaupt lauscht man dieser Besetzung mit Wonne.

Ein erfreuliches Déjà-vu stellt sich beim Auftritt des Nélusko ein, der wie schon in der Würzburger Produktion dieses Werkes (Link) vom stimmgewaltigen Adam Kim gegeben wird. Ein schönes Organ! Und das nicht allein bezogen auf die Präsenz, nein auch das Timbre stimmt. Besonders stark die wehmütige Klage des mehr als in Treue zugeneigten Sklaven, als er die Vermählung Vascos mit seiner Herrin realisiert. Eben jene Sélika schien mir anfänglich etwas herb, zu wenig sinnlich, doch Claudia Sorokina steigerte sich mehr und mehr – vor allem auch ihr intensives Spiel gestaltete die Rolle der Königin, die ihren Stolz als Sklavin unterdrücken muß, insgesamt betrachtet überaus glaubhaft.

Bernhard Bechtold geht die ernste Rolle des Vasco mit dem gleichen Elan an, der ihn schon als unbeschwerten Henry Morosus auszeichnete. Sein Tenor ist sehr schön, generell eher dunkel gefärbt, dabei aber hell und klar in der Höhe, durchaus mit Schmelz. Am besten strahlt er dennoch in den kräftigen, zupackenden Passagen – die irisierende Lyrik der berühmten Arie „Land, so wunderbar!“ läßt auch dieses vorzügliche Organ an seine Grenzen stoßen. In jedem Fall bietet Bechtold Ausdruck und Intensität, stimmlich wie darstellerisch – ein Sympathieträger durch und durch.

Ganz im Gegensatz zu Don Pédro, dessen dramaturgisch bedingte, undankbare Ausgestaltung als Arsch vom Dienst Kouta Räsänen mit dem erforderlichen Habitus absolviert. Nicht zu vergessen bei aller Lackafferei: Der Mann hat eine prima Stimme – sehr sonor, ein bißchen nasal, sehr druckvoll. Rolf Broman schließlich überzeugte in seiner Doppelrolle als christliche wie heidnische Oberkutte mit volltönendem Bass, Vascos Freund brachte sehr glaubhaft den inneren Zwiespalt zwischen Pédro (Befehl) und Vasco (Herz) zum Ausdruck.

Auch die Inszenierung macht diesen „Vasco“ zu einem mitreißenden Erlebnis. Die Bühnenbilder sind gleichsam reduziert wie prägnant, beispielsweise Vascos Kerker mit der Erdball-Nische, die wunderbar sein Dilemma zwischen Eingesperrtsein und Entdeckerdrang visualisiert, oder später die fließend-pulsierende Dschungelprojektion – Exotik, Rausch und Vergiftung verschwimmen. Ein Detail der Ausstattung hat mich allerdings etwas ratlos hinterlassen: Der gläserne Sklavenschaukasten, in dem Sélika und Nélusko vorgeführt werden, ist mit Manzanillo-Kasten identisch, der für die Königin am Ende den Tod bedeutet. Soll diese Parallele vielleicht andeuten, daß alles Leid der „Wilden“ letztendlich auf die „Zivilisation“ zurückzuführen ist?

Kontrastierend zu den eher schlichten Kulissen, fallen die Kostüme umso prächtiger aus, wobei sie eher 19. Jahrhundert, also die Zeit der Entstehung der Oper atmen, als die der historischen Vorlage. Auffällig: Es gibt viele scheinbar nebensächliche, aber sinnvolle Tätigkeiten, die die Szenen mit Leben füllen. Vasco hantiert eifrig mit Sextant und Karten, Sélika bringt – wie es sich für eine Dienerin gehört – Stühle und Tee, die Matrosen exerzieren und schrubben das Deck.

Generell läßt die Personenregie die Figuren sehr authentisch und somit involvierend interagieren. Der Inquisitor wird mit Handkuss begrüßt, das ganze Kartenlesen und Prüfen während der Ratsszene, schließlich die Abstimmung und Vascos wütende Reaktion, wenn er den Tisch samt Kreuz umwirft (welche die harte Verurteilung umso glaubhafter macht), um nur ein paar Beispiele aus dem ersten Akt zu nennen. Ok, Ende des dritten Aktes ist auch ein bisschen Mummenschanz bei der Enterszene dabei, aber unterhaltsam ist auch dies.

Weitere Schlaglichter einer interessanten, durchdachten Regie: Nélusko lehrt die Matrosen das Fürchten (Das Einhaken und „Schunkeln“ illustriert die Wellenbewegung), die Projektion des Meeres, eine stimmungsvolle Lichtregie – erst sehr drastisch bei leerer Bühne, später mit Farb- und Temperaturwechsel (Purpurorgie in Indien), die intelligente Staffelung der Choristen (Das Paar Sélika/Vasco umringend, Nélusko auch optisch in seinem Gram ausschließend).

Der Eifer Vascos läßt in Sélika die Hoffnung auf Liebe entflammen, diese Liebe findet im Ballett visuellen Ausdruck. Kombiniert mit dem Bild des pulsierenden, wallenden Waldes (wiederum ein Anklang an die Wellen des Meeres), welches dann bei Sélikas Todesrausch erneut aufgegriffen wird. Eckige Gesten, eingefrorene Bewegung, puppenhaftes Spiel kennzeichnen ihr Sterben. Schließlich erscheint Vasco Sélika noch einmal „real“ auf der Bühne, im Tod erfüllt sich ihr Traum – wenn auch nur als weiterer Traum.

Musikalisch ist das Werk ein wahres Füllhorn von Schönheiten, abwechslungsreich, packend, anrührend – eben so, wie ich Meyerbeer bislang kennengelernt habe. Allein das Chorfinale der Oper ist ein Hammer, der mit elektrisierender Harmonik zuschlägt. Spätestens mit diesem Finale werden auch die Parallelen zu Berlioz’ Trojanern offenkundig, nicht nur formal, sondern vor allem inhaltlich (Die Liebe zwischen der exotischen Königin und dem geliebt-verhassten Fremden, schließlich der Freitod Sélikas/Didos). Wobei ich ausdrücklich vermeiden möchte, die - zumindest der (Teil-)Uraufführung nach (bei der Entstehungszeit verhält es sich anders herum) - vermeintlich jüngere, indische Afrikanerin gegen ihre nordafrikanische Schwester auszuspielen oder umgekehrt. Zwei große Opern bleiben für sich und gemeinsam groß – oder in diesem Zusammenhang besser: Grand.

Zu Dirigat und Orchester braucht es übrigens nicht viele Worte: Verve, Technik, Sensibilität – in Chemnitz stimmt das Gesamtpaket. Womit gleichzeitig mein Fazit für diese Produktion gefunden wäre.

12. Juni 2013

Buchvorstellung – Sabine Meyer.
Edel AG Hamburg.

19:30 Uhr, Freie Platzwahl.



Zufälle gibt’s – Nachdem mich bereits die letzte von mir besuchte Veranstaltung unter Edel-Schirmherrschaft in der Villa Jako (Link) überraschend an den Ort vergangener Ereignisse brachte, sorgte nun der Firmensitz jenes Unternehmens für ein identisches Déjà-vu: Hier wie dort hatte ich vor Jahren jeweils beruflich zu tun, beide Orte fungierten dabei unabhängig voneinander als Kulissen für verschiedene Fotoproduktionen.

Heute ging es jedoch nicht um Vermögensanlage oder Herrenmode, sondern einzig und allein um Frau Meyer und ihre neue Biografie, verfasst von Margarete Zander, die auch die Moderation der kleinen Gesprächsrunde übernahm. Musikalisch gerahmt wurde die Unterhaltung von zwei Mendelssohn-Stücken, deren Mitmusiker – ihr Mann Reiner Wehle und der Pianist Christian Ruvolo – ebenso zu Wort kamen.

Nachdem das erste Konzertstück für Klarinette, Bassetthorn und Klavier mit improvisiertem Schlüsselbundsolo eines umherirrenden Wachmanns verklungen war, konnte man anhand vieler kleiner Schlaglichter auf den Werdegang der Künstlerin einen guten Einblick in Intention und Tonalität der Veröffentlichung gewinnen. Verschiedene Themen wie musikalische Förderung bzw. Methodik beim Musikunterricht, ihre Karriere, aber auch Persönliches zu Familie und Wegbegleitern wurde auf informative wie unterhaltsame Art angesprochen. Der Eindruck, der sich einstellt, zeichnet das Bild einer sympathisch zurückhaltenden, bescheidenen Musikliebhaberin und -Vermittlerin, frei von Distanz oder gar Starallüren. Klingt vielleicht ein bißchen wie die offizielle Pressemitteilung zum Buch, kam aber eben so rüber.

Schön, wenn jemand so in seinem Wirken aufgeht und dabei noch andere erfreut wie Frau Meyer durch ihre Kunst, die sie mit dem zweiten Konzertstück als musikalische Verabschiedung den Zuhörern mit auf den Heimweg gab. Fazit des Abends: Eine rundum gelungene Vorstellung in doppeltem Sinne.

9. Juni 2013

Der Ring des Polykrates / Violanta – Roland Techet.
Theater Augsburg.

14:30 Uhr Einführung, 15:00 Uhr, Parkett links, Reihe 4, Platz 14


Große Erwartungen in Augsburg: Gleich zwei Erstbegegnungen an einem Abend mit Werken aus der Feder des geschätzten Tonsetzers. Und auf Korngold ist Verlass. Kommt „Der Ring des Polykrates“ noch als heitere Vorspeise daher, hinterläßt „Violanta“ gleich nach dem ersten Erleben einen starken, aufwühlenden Eindruck, der den Weg zur „Toten Stadt“ eindrucksvoll aufzeigt. Wie schon beim „Mahagonny“ vor zwei Jahren bestätigte sich, daß man Augsburg beruhigt in seine Saisonplanung einbeziehen kann, sowohl musikalisch als auch insbesondere szenisch wurde ich wieder nicht enttäuscht.

Der Ring des Polykrates kommt als harmloses Lustspiel mit den beliebten Zutaten Intrige, Eifersucht und Liebesbeweis daher, das durch die Inszenierung allerdings eine weiterführende Lesart erfährt. Natürlich findet auch hier das junge und das ältere Glück wie vorbestellt nach kleinen Turbulenzen zusammen. Die eingebrachten Bezüge zum ersten Weltkrieg nehmen dem Stück allerdings einiges von seiner unbeschwerten Komik, sind angesichts der Entstehungszeit der Oper aber durchaus nachvollziehbar und rücken den glückseligen Mikrokosmos bei Kapellmeisters in ein elitäres, weltflüchtiges Licht. Der alte Freund ist hier weniger Intrigant und Störenfried als vielmehr lästiger Vorbote von Umwälzungen, die den auch im Bühnenbild angelegten goldenen Käfig der Glückskinder bedrohen. Der Rausschmiss des „Übeltäters“ erhält somit eine kaltherzige Note, die zum Nachdenken anregt, jedoch von Korngold für seine Komödie sicher so nicht beabsichtigt war. Besondere Erwähnung verdient die Ausnahmestimme von Sophia Christine Brommer, die mit ihrem lieblichen Gesang das Ohr verwöhnte und den Hauptpartien beinahe die Schau stahl.

Der eigentliche musikalische Leckerbissen folgte dann nach der Pause mit besagter „Violanta“, ein Werk das den Vergleich beispielsweise zu den wunderbaren Zemlinsky-Einaktern absolut aushält. Inhaltlich und von der Anlage gibt es Parallelen zur ein Jahr später uraufgeführten „Florentinischen Tragödie“ und auch zur Straussschen „Salome“, insbesondere was das auf die weibliche Hauptrolle fixierte Finale angeht. Komponierter Rausch und Sinnlichkeit in einem düsteren, schwer lastenden Gesamtgefüge zeigen Korngolds Mittel musikalischer Opulenz und Raffinesse bereits hier auf höchstem Niveau. Das Theater Augsburg trägt diesem Anspruch mit einer konzentrierten Umsetzung Rechnung, wie man sie sich für eine Erstbegegnung wünschen kann.

Orchester, Chor und Solisten beweisen sich dabei in einer stimmungsvollen Inszenierung, die das innere Ringen der Hauptpersonen konsequent in den Mittelpunkt rückt. So schaffen Regie und Bühnenbild auch ohne naturalistisches Dekor mit einfachen Mitteln eine Atmosphäre, die zwischen der lustvollen Ausgelassenheit des Karnevals und stetiger Todesahnung pendelt. Das Bild des goldenen Käfigs wird wieder aufgegriffen und betont die Gemeinsamkeit beider Stücke, sich mit innerem und äußerem Glück auseinanderzusetzen. Von den Sängern bildet hier ohne Frage Sally Du Randt in der Titelpartie den Fixstern, um dessen Glanz sich die übrigen gelungenen Leistungen gruppieren. Frau Du Randt verfügt dabei über eben jene stimmlichen und darstellerischen Fähigkeiten, die zentrale Ambivalenz der Figur zwischen unterdrückter und überströmender Sinnlichkeit und Lust glaubhaft zu verkörpern. 

Am Ende stehen die wohlige Gewissheit eines gelungenen Opernbesuches und der freudige Eintritt eines „neuen“ Vertreters in den eigenen Bekanntenkreis großer Werke.


Erich Wolfgang Korngold – Der Ring des Polykrates / Violanta
Musikalische Leitung – Roland Techet
Inszenierung – Markus Trabusch
Bühne – Volker Hintermeier
Kostüme – Su Bühler
Licht – Kai Luczak
Choreinstudierung – Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek
Dramaturgie – Katharina John

Der Ring des Polykrates

Wilhelm Arndt, Hofkapellmeister – Niclas Oettermann
Laura, dessen Frau – Sally du Randt
Florian Döblinger, Paukist und Notenkopist – Christopher Busietta
Lieschen, bei Laura bedienstet – Sophia Christine Brommer
Peter Vogel, Wilhelms Freund – Giulio Alvise Caselli

Violanta

Simone Trovai, Hauptmann der Republik Venedig – Stephen Owen
Violanta, seine Gattin – Sally du Randt
Alfonso, Sohn des Königs von Neapel – Ji- Woon Kim
Giovanni Bracca, ein Maler – Niclas Oettermann
Bice – Sophia Christine Brommer
Barbara, Violantas Amme – Kerstin Descher
Matteo – Giulio Alvise Caselli
1. Soldat – Gabor Molnar
2. Soldat – Daniel Holzhauser
1. Magd – Susanne Simenec
2. Magd – Stephanie Hampl

Opernchor, Extra-Chor und Statisterie des Theaters Augsburg
Augsburger Philharmoniker

8. Juni 2013

Katja Kabanova – Arne Willimczik.
Theater Regensburg.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 4, Platz 11



Eines schönen Tages kam ich im Foyer eines mir wohlbekannten Hauses in der Schlange zur Pausenbrezel mit einem älteren Herrn ins Gespräch, der mir mehr oder weniger ungefragt seine Ansichten über gebührliches Verhalten in Oper und Konzert kundtat. Während sich die Weißweinprozession langsam gen Tresen schob, eröffnete er mir, daß er in langen Jahren des Studiums des Publikums einen Vergehenskatalog angelegt habe, in dem alle kleinen und großen Sünden der Besucherkaste Eingang gefunden hätten – gewissermaßen ein Standardwerk des schlechten Benehmens.

Mit einer Mischung aus anerzogener Höflichkeit und latentem Interesse folgte ich – auch in Ermangelung einer spannenderen Alternative als Warteschlangenbestandteil – seinen leicht wirren, jedoch von Enthusiasmus geprägten Ausführungen, so daß man am Ende von Kurzvortrag und Pause nicht umhin kam, Mail-Adressen zwecks weiterer Vertiefung auszutauschen. Die daraufhin erhaltenen Beobachtungen und Gedanken zu ebenso beliebten wie gängigen Publikumssünden gedenke ich nun zukünftig in loser Folge meinen eigenen Berichten beizufügen, um zumindest ein kleines Schlaglicht auf den jahrzehntelangen Einsatz des mysteriösen Herrn für ungetrübten Kunstgenuss zu werfen und seiner Arbeit ein Mindestmaß an Würdigung angedeihen zu lassen, obwohl ich mich ausdrücklich von der teils rüden Ausdrucksweise distanzieren möchte.


Konzertsünde Nr. 1: Der gemeine Konzerthusten.

Als Klassiker unter den Konzertsünden erfreut sich der Husten in den Sälen landauf landab ungebrochener Beliebtheit. In unterschiedlichen Abstufungen, beispielsweise als halb unterdrückter Solistenschreck, ausladend produziertes Zwischensatzstakkato oder auch ungeniert vorgetragener Pianissimo-GAU, ob geröchelt oder aus voller Seele bzw. Schleimbevorratung hinausgeschleudert, ist er trotz seines mannigfaltigen Auftretens vor allem Eines – überflüssig. Merke: Es geht auch ohne. Immer. Wer etwas anderes behauptet, hat sich und seine Konzentration nicht im Griff und sollte sein Konzertengagement grundlegend überdenken. Anders ausgedrückt: Der Husten ist das Ventil der Unmusikalischen.

Konzertsünde Nr. 2. Das dreiste Gelaber.

Die verbale Verfehlung des Gelabers, je nach Region auch als Geschwätz, Gebabbel, Gesülze, Geplapper, Gewäsch oder Gefasel bekannt, ist ebenso ärgerlich wie vermeidbar, zumal hier fadenscheinige Ausreden, wie sie noch in der Erduldung des Hustens schwächere Geister vielleicht durchgehen lassen mögen, von vornherein ein mutwillig kunstfeindliches Gemüt entlarven. Dabei ist es einerlei, ob es sich um eine Frage („Geht es schon los?“) oder Aussage („Es geht los!“), eine Äußerung des Mißfallens („Wie lange geht das denn noch?“), der Zustimmung („Das könnte immer so weitergehen!“) oder das häufig anzutreffende Phänomen handelt, bei dem schlichte Gemüter irgendeine belanglose Erkenntnis direkt absondern müssen („Schau mal – da geht einer.“). Es spielt keine Rolle, welche Intention und welcher Informationsgehalt der akustischen Entleerung zugrunde liegt – man erspare sie sich und den übrigen Besuchern und hebe sich Perlen wie „Das ist Mozart!“ (In einem Mozart-, besser noch in einem Haydnkonzert) oder „Ein schönes Kleid hat die Isolde“ für das Expertendinner NACH der Darbietung auf.

Fortsetzung folgt.


Ach ja, und dann war ich an diesem Wochenende zum ersten Mal in Regensburg. Ein hübsches Theater, ein ehrwürdiger Saal, der im Gegensatz zum ursprünglich eingeplanten Passau trotz launischer Donau das Sitzen auf trockenen Polstern ermöglichte, dazu eine runde Produktion von Janáčeks „Katja Kabanova“, die ich also hier in der Oberpfalz kennenlernen sollte.

Die Tatsache, daß man auch nach zwei- bis dreimaliger Lektüre der Handlung im Programmheft immer noch nicht so recht verstanden hat, wer mit wem und überhaupt, läßt entweder auf eine tierisch komplizierte Handlung, ein dürftiges Gedächtnis bzw. Leseschwäche beim Autor dieses Blogs oder aber mittelschwere Probleme beim Memorieren slawischer Namen schließen – Letzteres konnte letztendlich als Hürde identifiziert werden. Aber eigentlich liegt der Fall auch hier – wie so oft – ebenso einfach wie tragisch: Die, die zusammen sollen, wollen nicht und die die zusammen wollen, dürfen nicht. Man kennt das.

Die Inszenierung von Frau Fassbaender, deren stimmliches Wirken ich leider nicht mehr live erlebt habe, mir aber durch manch herrliche CD ans Herz gewachsen ist, hat mir ausgesprochen zugesagt. Die Wesenszüge der einzelnen Charaktere kommen deutlich zur Geltung – etwa der zögerliche, schwache Tichon, die herrschsüchtige, auf ihren Sohn offenbar mit mehr als Mutterliebe fixierte Kabanicha oder die von Sehnsucht getriebene Katja. All die Figuren mit ihren Hoffnungen, Ängsten, Wünschen, irrlichtern im stetigen Fluss der doppelten Drehbühne, wie von den Wellen der omnipräsenten Wolga getrieben. Verschiedene Lichtsituationen lassen den Strom immer wieder anders erscheinen, mal erinnert das Bild an ein Werk Gerhard Richters, mal scheint Caspar David Friedrich Pate gestanden zu haben, schließlich geraten die Wellen durch Projektion in Bewegung.

Die Sorgen und Nöte der Menschen wirken auf mich fast nebensächlich, beiläufig; der Wissenschaftler macht seine Experimente als Repräsentant einer neuen Zeit, die Tradition in Frage stellend. Doch wie steht es mit der Tradition der Unterdrückung? Weniger im großen Ganzen als unter dem Brennglas persönlicher Schicksale? Sind auch hier neue Erkenntnisse, Fortschritte zu erwarten? Katjas Schicksal wirkt eher wie eine Störung denn als Aufbruch der Tradition, ein unerwartetes Kräuseln auf der seit Gezeiten ruhig dahinfließenden Wolga. Ihr Selbstmord bestürzt, wird jedoch durch den bigotten Schlußkommentar der Kabanicha seltsam relativiert.

Vielleicht ist es diese Form von Realismus, dem Pathos eher fern, der mir die Oper auch musikalisch – zumindest nach dem ersten Durchhören – eher sperrig und distanziert erscheinen läßt. Der Funke will jedenfalls erst mal nicht so recht überspringen, obwohl ich generell der Tonsprache Janáčeks sehr zugetan bin. An der Inszenierung dürfte es wie gesagt nicht gelegen haben. Kommt Zeit, kommt Erkenntnis.


Leoš Janáček – Katja Kabanova
Musikalische Leitung – Arne Willimczik
Inszenierung – Brigitte Fassbaender
Bühne und Kostüme – Dorit Lievenbrück
Licht – Martin Stevens
Choreinstudierung – Alistair Lilley
Dramaturgie – Eva Maskus

Sawjol Prokofjewitsch Dikoj, ein Kaufmann – Mario Klein
Boris Grigorjewitsch, sein Neffe – Arturo Martín
Marfa Ignatjewna Kabanova (Kabanicha) – Clarry Bartha
Tichon Iwanytsch Kabanov, ihr Sohn – Roman Payer
Katja, seine Frau – Michaela Schneider
Wanja Kudrjasch – Cameron Becker
Varvara, Pflegetochter im Hause Kabanov – Vera Egorova
Kuligin, Freund von Kudrjasch – Matthias Wölbitsch
Glascha – Elena Lin
Fekluscha – Angelika Hircsu

Philharmonisches Orchester Regensburg
Opernchor des Theaters Regensburg
Statisterie und Kleindarsteller