12. August 2013

Tannhäuser – Axel Kober.
Festspielhaus Bayreuth.

16:00 Uhr, Parkett links, Türe II, Reihe 3, Platz 16



Die Miniwagner sind auch heute wieder ein beliebtes Fotomotiv, vornehmlich als widerspruchlos-williger Schnappschußkumpel der Festivalbesucher, die sich abwechselnd freudig mit ihnen ablichten. Gern auch in „ulkigen“ Posen. Fotos sind generell hoch im Kurs. Eine Busladung Theaterbeschauer ergießt sich Stunden vor der eigentlichen Aufführungszeremonie auf den Vorplatz des Festspielhauses. Wenn es schon mit der Karte nicht geklappt hat, dann jedenfalls schnell noch ein Foto. Ein Andenken an die Wagnerstätte. Aber wahrscheinlich ging es den munteren Butterfahrern – zumindest heute – gar nicht um musiktheaterliche Genüsse, als vielmehr um die Befriedigung ganz normaler, gesunder, touristischer Triebe. Dumm nur, daß ich Tropf, der der Traube mild und leise lächelnd nachsah, zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen konnte, welch ungleich sinnstiftendere Beschäftigung ich in der nicht ergriffenen Chance zur Mitreise mit jenem Bus fahren lies, gegenüber dem Trauerspiel, das unter der Ägide des Herrn Baumgarten folgen sollte.

Schade. So viel Mühe und Wollen und alles umsonst. Man versteht es nicht, man will es nicht verstehen – ich möchte es nicht. Ich möchte keine Vorlesung besuchen, sondern eine Aufführung. Ergebnis: Der erste Akt lässt mich ziemlich kalt – trotz hoher musikalischer Qualität. Kerl näselt sich einen zurecht, hat aber den benötigten Stahl, Breedt auch gut, sofern man das in dem unfreiwillig komischen Venusberg überhaupt mitbekommt, Venus ist von Tannhäuser schwanger, Kaulquappen und kopulierende Nummern-Urmenschen im Käfig. Öde, langweilig, uninspiriert, wenig rauschhaft, null sinnlich. Texteinblendungen. Wieviel Rausch braucht der Mensch? Meiner Meinung nach mehr, als es diese Inszenierung gestattet.

Was soll dieses Baumstammdingens der Jagdgesellschaft? Und dann wird es mit dem Flaschenzug nach oben geholt – warum auch immer. Büßer gehen in die Holzkisten? Der Landgraf (Günther Groissböck) ein stimmlicher Lichtblick – wie schon als Fasolt toll! Nagy auch. Bisschen kränklich geschminkt? Die ganze Sängerschar sehr homogen. Hirte schön! Die Akustik ist wirklich top für die Sänger, so klar, man versteht fast jedes Wort. Das Orchester mit Dampf, aber nie übertönend. Sehr fein, seidig. Beginn bei offener Bühne, Texte, die niemand liest. Gedankenfetzen. Kunst-Bla Bla. Arbeit – Kunst. Aha. Warum ist der Hirte besoffen?

Was mit am besten an der Inszenierung gefällt? Dieser Haken am Seilzug, der jedesmal quietschend heruntergelassen wird, um irgend einen unwichtigen Plunder nach oben zu befördern. Auf den ist jedenfalls Verlass, im Gegensatz zur Aussage oder Intention der Regie. Klar, wenn man schon mal so ne Riesenbühne über zwei, drei Ebenen hat, will man das auch nutzen. Da kann man Eimer oder allerlei Holzkram nach oben bugsieren. Vielleicht hätte der Baumgarten gleich ne Baustelle oder besser noch das Regallager eines Baumarktes bespielen sollen. Weiß der Teufel, aber ist doch schön. Manche Männer stehen ja auch auf Miniatureisenbahnen oder so.

Elisabeth hat ne Macke und nervt mit Stummfilmgesten, Wolfram ist ein Häufchen Spacken, das keiner ernst nehmen kann. Venus natürlich auf der Wartburg dabei. Voll schlau, ist ja auch in der Musik drinne zu hören dranne. Und bitte noch viel mehr Texteinblendungen, damit ich ALLES mitbekomme, was sich der Herr Baumgarten so gedacht hat, bzw. das bekommt man ja nicht mit, aber so Andeutungen, Ansätze, Anstöße ... Also irgendwie voll kritisch und künstlerisch und allumfassend auf jeden Fall. Ich sag auch immer: keine einfachen Wege gehen.

Gott, turnt das ab. Was labert der immer von Drogen und Rausch und präsentiert doch nur nen Volkshochschulkurs dissoziative Gedankendiarrhö. Schade für die guten Sänger, Nylund sehr zart, Kerl manchmal etwas eng aber mit Stahl und Kraft. Landgraf Bombe! Aber es nützt nichts. Da hab ich was Besseres zu tun, um es mal von Provokateur zu Provokateur zu sagen. Gepflegt Kacken gehen zum Beispiel, um im Bild zu bleiben. Die Kopulationsszenen sind einfach schlecht. Porno geht anders. Am Ende Hölle light aus der Galerie der alten Meister.

Die Inszenierung der Unverständlichkeiten: Überall nichtssagende Handlungen, Rüben? schälen, Treppe putzen, Gerätschaften bedienen. Was soll der Schmuck, den Elisabeth erst an- und am Schluss wieder ablegt? Die Rolex-Braut. Was hat das Kind der Venus mit Tannhäusers Erlösung zu tun? Das Wagner Zitat am Ende „Ich bin der Welt noch den Tannhäuser schuldig“ kommt wie eine Rechtfertigung für den Experimentierkastencharakter der Inszenierung daher. Unfertig ist diese allemal, das kann ich bestätigen.

Nagy doch nicht so richtig lieblich beim Abendstern. Kerl stimmgewaltig, muss aber bei der Romerzählung zum Teil von akustisch ungünstigen Positionen aus singen. Geht Elisabeth ins Gas? Konnte ich nicht erkennen, war ne Säule davor – wohlgemerkt aus bester Sicht in Reihe drei. Aber als visionärer Regisseur kann man sich schließlich nicht um alles kümmern, das ginge ja in Richtung professionelles Handwerk. Die entsündigten Pilger sind ein Trupp Putzroboter? Dirigiert wurde auch: Kober gut aber ohne den letzten Kniff, siehe gestern.

Das Fazit, nüchtern betrachtet: Weniger Applaus als Lohengrin. Richtig wäre gewesen: No soup for Baumgarten! Dazu die Regie gewordene Binsenweisheit des Tages: Wer’s nicht kann, soll’s lieber lassen. Oder blumiger: Hirnfick befriedigt nicht – und befruchtet schon gar nicht.


Richard Wagner – Tannhäuser
Musikalische Leitung – Axel Kober
Inszenierung – Sebastian Baumgarten
Bühnenbild – Joep van Lieshout
Kostüme – Nina von Mechow
Licht – Franck Evin
Video – Christopher Kondek
Dramaturgie – Carl Hegemann
Chor – Eberhard Friedrich

Hermann, Landgraf von Thüringen – Günther Groissböck
Tannhäuser – Torsten Kerl
Wolfram von Eschenbach – Michael Nagy
Walther von der Vogelweide – Lothar Odinius
Biterolf – Thomas Jesatko
Heinrich der Schreiber – Stefan Heibach
Reinmar von Zweter – Martin Snell
Elisabeth, Nichte des Landgrafen – Camilla Nylund
Venus – Michelle Breedt
Ein junger Hirt – Katja Stuber
Vier Edelknaben – Beate Gartner, Anja Ulrich, Kirsten Obelgönner, Johanna Dur

Das Festspielorchester
Der Festspielchor

11. August 2013

Lohengrin – Andris Nelsons.
Festspielhaus Bayreuth.

16:00 Uhr, Parkett links, Türe II, Reihe 5, Platz 17



Heute verlasse ich in regelrechter Verzückung das Festspielhaus. Grund dafür ist neben musikalischer Güte vor allem eine Inszenierung, wie ich sie in ästhetischer Perfektion und dramaturgischer Kraft kaum je erlebt habe. Hans Neuenfels gebührt der Ruhm, diesen Abend zu etwas ganz Besonderem, ja Magischem erhoben zu haben. Wen diese Inszenierung kalt läßt oder gar abstößt, muß schon unter einer schweren Wahrnehmungsstörung leiden oder schlichtweg mit totaler Theaterblindheit geschlagen sein, so deutlich tritt hier das Bühnenwunder zutage. Aber was schwülste ich groß herum, schließlich gibt es von dieser Produktion einen Mitschnitt, der jedem geneigten Zweifler zumindest einen Abglanz der Live-Wirkung bieten sollte. Also lassen wir es gut sein für heute.

Nur das eine: Inszenierungskritiken bzw. Ablehnung sind eigentlich in den meisten Fällen lediglich eine Ablehnung der Ausstattung. Ein Lohengrin ohne Nachen, womöglich gar im Anzug? Nein Danke! Die braven Brabanter als Ratten? Undenkbar! Gegen Reaktionen wie diese ist per se erst mal nichts einzuwenden, sind sie doch allenfalls Ausdruck eines konservativen Geschmacks in Bezug auf Bühnenbild und Kostümierung. Mit der eigentlichen Regiearbeit und etwaiger Kritik daran hat dies meiner Ansicht nach jedoch nur am Rande zu tun. Sicher, Bühnenwirkung entsteht durch die Summe der Teile, aber mich persönlich interessiert doch deutlich mehr, wie Motivation und Handeln der Figuren vermittelt werden, als die Frage, ob Lohengrin zwingend in silberner Rüstung aufzutreten hat. Interessant wird es allerdings dann, wenn einem ernsthaft an der inhaltlichen Umsetzung der alten Regieanweisungen gelegen ist. Hans Neuenfels scheint jemand zu sein, der diesen Fragen nachspürt. Und für meine Begriffe darauf Antworten findet, die die Kraft haben, ein altbekanntes Werk wie zum ersten Mal vor unseren Augen erstehen zu lassen, den Kern zu treffen, zu berühren.

Den tosenden Applaus und erdbebenartiges Getrampel im Ohr gehe ich zu Fuß durch die Bayreuther Stille zum Hotel. Am nächsten Morgen bescheinigt man mir an der Rezeption, der wohl besten Lohengrin-Aufführung dieser Spielzeit beigewohnt zu haben. Qualität spricht sich eben doch herum.


Richard Wagner – Lohengrin
Musikalische Leitung – Andris Nelsons
Inszenierung – Hans Neuenfels
Bühnenbild und Kostüme – Reinhard von der Thannen
Licht – Franck Evin
Video – Björn Verloh
Dramaturgie und Regie-Mitarbeit – Henry Arnold
Chor – Eberhard Friedrich

König Heinrich – Wilhelm Schwinghammer
Lohengrin – Klaus Florian Vogt
Elsa von Brabant – Annette Dasch
Friedrich von Telramund – Thomas J. Mayer
Ortrud – Petra Lang
Der Heerrufer des Königs – Samuel Youn
1. Edler – Stefan Heibach
2. Edler – Willem Van der Heyden
3. Edler – Rainer Zaun
4. Edler – Christian Tschelebiew
Edelknaben – Kitty de Geus, Anja Ulrich, Zuzanna Foremska, Johanna Dur
Edeldamen – Sharona Applebaum, Cosima Henseler, Stefanie Dasch, Gisela Pohl, Theresa Derksen- Bockermann, Jessica Leary, Gabriele Neugebauer, Christine Hallereau, Raquel Luis, Dörte Rohlfing, Alice Rath, Ina Gasciarino

Das Festspielorchester
Der Festspielchor

10. August 2013

Das Rheingold – Kirill Petrenko.
Festspielhaus Bayreuth.

18:00 Uhr, Parkett links, Türe I, Reihe 1, Platz 6



Eigentlich stünde dem Pathos der Festspiele jetzt ein vor Inbrunst triefendes Seelenbekenntnis zur ersten Empfängnis der Bayreuther Weihen gut zu Gesicht. Meine Pilgerfahrt zu Wagner – sowas halt. Nur gingen diesem ersten offiziellen Kartenglück bereits zwei nicht minder offiziell vollzogene Besuche am grünen Hügel voraus, die ich dem Einsatz guter Geister zu verdanken habe, die an dieser Stelle noch einmal frei nach alter Schwanentradition bedankt seien.

Heute also der Vorabend des neuen Jubiläums-Rings in der Inszenierung von Frank Castorf. Ich bin kein großer Kritikenleser, aber der Buh-Shootout zur Premiere hatte sich dann doch bis zu mir herumgesprochen. Klar, Bayreuth ist natürlich ein spezielles Pflaster, vor allem auch für die Regie, da einerseits die Erwartungshaltung von Publikum und Presseauge, überhitzt durch die Verbrämung von Historie und „Tradition“ sowie herbeibefohlenem Weltgeltungsanspruch, kaum Konsenzbefriedigung erfährt, dieser Ort andererseits durch seinen Nimbus fundamentalistische Gutmeiner und Teilzeit-Bewahrer des Wagner’schen Erbes magisch anzuziehen scheint. Und ich wäre der Letzte, der dies nicht verstünde. Bei Wagner kenne auch ich keine Verwandten. Unter „epochal“ läuft nix. Sicher, es gibt denkbar entspanntere Herangehensweisen an Angelegenheiten der Freizeitgestaltung – aber was an Wagner ist schon entspannt?

Doch zurück zum Castorf und seinem Ring. Ich hab die Empörung nicht verstanden. Jedenfalls nicht beim Rheingold, welches mangels Ringvollversorgung als alleiniger Zertifizierungsgegenstand in Sachen Hügeltauglichkeit herhalten muß. Auf mich wirkt diese Inszenierung zwar wenig erbaulich – jedoch insgesamt weitgehend plausibel. Oder anders formuliert: Kein Grund zur Aufregung. Castorf gestaltet die Ränkespiele bei Götterns und Co. als mafiösen Streifen à la Scorsese oder mehr noch Tarantino – inklusive Kamerateam auf der Bühne. Warum nicht, sind es ja nicht unbedingt die edelsten Motive der Beteiligten, die den Fortgang der Handlung prägen.

Die Interpretation der Rollen mag daher nicht jedermanns Geschmack treffen, innerhalb dieser Konzeption ist ihre Charakterisierung aber vollkommen nachvollziehbar. Wotan als schmieriger Boss, der mit Fricka und Freia das Bett teilt (Cocktails für alle!), Froh und Donner als Möchtegerngangster, deren Drohungen niemand wirklich ernst nimmt, Loge ein windiger Hispanic-Checker, der mit dem Feuer spielt und das – Witz komm raus – auf einer Tankstelle. Und die Darsteller machen ihre Sache gut, so daß es immer wieder starke Augenblicke gibt. Besonders gelungen und konzeptkonform fällt beispielsweise die Verhandlung zwischen Wotan und den Riesen aus. Es macht schon Spaß mitzuerleben, wie die Szene erst von der brodelnden Gewaltbereitschaft der beiden tumben Mechaniker-Proleten dominiert wird, die sich jeden Moment an der schmucken Untertürkheimer Karosse Wotans zu entladen droht, bis die schlichten Gemüter angesichts des möglichen großen Coups plötzlich hellhörig werden – fast schon eine Standardsituation aus dem Gangster-Genre.

Insgesamt löst die Inszenierung vieles auf recht unkonventionelle, vielleicht vulgäre, aber meist nachvollziehbare Weise. Fricka, die aus dem Kidnapping durch die Riesen als Sexpüppchen in hautengem Lack wiederkehrt oder die Rheintöchter als Damen des leichten Gewerbes, die Alberich mit billiger Masche am Pool um den Verstand bringen. Anderes, wie die Verwandlungen Alberichs durch den Tarnhelm ist einfach gut gemacht und entsprechend wirkungsvoll. Über Details läßt sich natürlich streiten. Das Rheingold eine goldene Heizfolie? Eine Bobbycar-Ente bindet Alberich? Geschenkt. Und manches kapiert man halt auch gar nicht. Die Nibelheimszene ist insgesamt kryptisch, was sollen die angebundenen Zwerge zu Beginn? Die Regenbogenfahne bei Mime? Später der bizarre Handlangertrupp Wotans? Und warum dreht der Wirt am Ende durch? Egal.

Letztendlich bleibt es die bekannte Geschichte der Hatz nach Macht, Gold – oder eben Öl oder was sonst noch als Analogie taugen mag. Wirklich umgehauen hat mich Herrn Castorfs Sicht zwar nicht, aber da gab es andernorts sicher Produktionen, die mir eher ein Buh entlockt hätten. Cool bleiben, Bayreuth. Immerhin durfte man gute Darsteller und Sänger von vorbildlicher Textverständlichkeit erleben, dazu den unvergleichlichen Mischklang des herrlichen Orchesters (minimale Wackler), welcher trotz moderater Endlautstärke absolut druckvoll das Ohr umschmeichelt und zu guter Letzt eine musikalische Leitung durch Kirill Petrenko, die vor allem die feinen Stellen der Partitur aufwertet. Das Glitzern des Rheingoldes, das ganz leise und verschlagen intonierte Tarnhelm-Motiv. Ohne dabei auf ein äußerst wirkungsvolles Nibelheim-Gehämmer und ein knackiges Finale verzichten zu müssen. Aber gut, man ist halt verwöhnt, zumal in Bayreuth, wo man vielleicht noch mehr als andernorts weiß, daß früher sowieso alles besser war.


Richard Wagner – Das Rheingold
Musikalische Leitung – Kirill Petrenko
Inszenierung – Frank Castorf
Bühnenbild – Aleksandar Denić
Kostüme – Adriana Braga Peretzki
Licht – Rainer Casper
Video – Andreas Deinert, Jens Crull

Götter
Wotan – Wolfgang Koch
Donner – Oleksandr Pushniak
Froh – Lothar Odinius
Loge – Norbert Ernst

Göttinnen
Fricka – Claudia Mahnke
Freia – Elisabet Strid
Erda – Nadine Weissmann

Nibelungen
Alberich – Martin Winkler
Mime – Burkhard Ulrich

Riesen
Fasolt – Günther Groissböck
Fafner – Sorin Coliban

Rheintöchter
Woglinde – Mirella Hagen
Wellgunde – Julia Rutigliano
Floßhilde – Okka von der Damerau

Das Festspielorchester