15. Juli 2016

Orgelkonzert – Eugenio Maria Fagiani.
Berliner Dom.

20:00 Uhr, freie Platzwahl



Johann Sebastian Bach – Chaconne

(Transkription: Busoni-Matthey, BWV 1004)
Sergei Rachmaninow – Barcarolle, op. 10, Nr. 3
(Transkription: E. M. Fagiani)
Sergei Rachmaninow – Mélodie, op. 3, Nr. 3
(Transkription: E. Lemare)
Sergei Rachmaninow – Prélude, op. 3, Nr. 2
(Transkription: E. M. Fagiani)
Gustav Mahler – Adagietto aus der Sinfonie Nr. 5
(Transkription: D. Briggs)
Ulisse Matthey – Elegia
Ulisse Matthey – Toccata-Carillon


Auch Berlin hat also seinen Orgelsommer. So wollte es der terminliche Zufall, dass ich ein Konzert dieser Reihe bei einer Stippvisite in der Hauptstadt gewissermaßen als musikalische Zugabe mitnehmen konnte – noch dazu im prächtigen Dom und mit Mahler als Programmpunkt. Letzteres hätte vielleicht schon im Vorfeld doch eher befremden als vorfreuen lassen sollen, aber einem Gaul für 10 Euro schaue ich auch nicht so genau ins Maul.

Transkription ist das Stichwort. Sicher gibt es genügend Beispiele für gelungene Übertragungen großer Originalkompositionen zur Königin der Instrumente – Mahlers Adagietto scheint nicht unbedingt auf diese Wandlung gewartet zu haben. Zumindest die heute erklungene Version konnte weder akustisch noch bezogen auf seine Darbietung überzeugen. Man hat das Stück erkannt, damit hatte es sich dann auch. Das betont leise Gesäusel, zweimal recht unvermittelt durch dynamisches Forcieren an den „Höhepunkten“ des Werkes unterbrochen, stellte vielleicht die feinen Register der Orgel nett zur Schau, hatte mit dem atmenden, sich organisch entwickelnden, aufblühenden Charakter der Vorlage allerdings nicht viel gemein. Vom hingeschmierten, pseudo-improvisatorischen Rubato des Vortrags, in dem Fagiani mal an unmotivierter Stelle bedeutungsschwer innehielt, um dann über markante Motive eilig hinwegzuhuschen, ganz zu schweigen. Naja, als Untermalung für eine Dombesichtigung im Sitzen hat es seinen Zweck erfüllt, wie man an vielen gen Kuppel gereckten Köpfen ablesen konnte.

Was gabs noch? Ein bisschen transkribierter Rachmaninow, darunter natürlich DAS Prélude. Kann man machen, der Bruch war nicht so heftig wie beim Mahler light, aber auch hier war mein Reflex nicht unbedingt „Verbrennt den Steinway! So muss das!“ Dabei klingt die Orgel des Doms wirklich beeindruckend. Facettenreich, mächtig. Am besten kommt dies in den Beiträgen zur Geltung, die das Konzert rahmen – Bachs Chaconne in der Bearbeitung Busonis und Mattheys sowie zwei Originalwerke des Letzteren. Ein richtiger Kracher scheinen die Stücke des Italieners (ganz im Gegensatz zu den Werken seines berühmteren Landsmannes!) zwar nicht zu sein, taugten aber sehr wohl zur Leistungsschau des Dom-Instruments. Unter dem Strich ein Konzert, das irgendwo zwischen „ganz nett“ und „hätte man sich lieber auch ruhig Zeit für ne zweite Currywurst lassen können“ einzuordnen ist. Punto e basta.

3. Juli 2016

Elwin und Elmire – Christoph Dittmar. Liebhabertheater Schloss Kochberg.

15:00 Uhr Einführung, 16:00 Uhr, Reihe 2, Platz 7



75 Sitzplätze, eine winzige Bühne, darüber eine kleine Galerie für die Musiker, das ist das Liebhabertheater Schloss Kochberg, malerisch gelegen zwischen dem pittoresken Schloss und einem Park, der mit verschlungenen Pfaden zum Flanieren einlädt. Wobei die Reduzierung der Spielstätte auf seine bauliche Form nur wenig über sein Wesen verrät. Das Theater, das ist vielmehr Engagement und Leidenschaft der beteiligten Personen, die den Namenszusatz auf bemerkenswerte Weise mit Inhalt füllen.

Musikliebhaber, Theaterliebhaber, Kulturliebhaber – alles Umschreibungen für diejenigen, welche hier in privatwirtschaftlicher Eigenregie mit viel Herzblut ein ambitioniertes Programm stemmen. Schön zu sehen, dass in Zeiten von Theaterschließungen und Orchesterrationalisierungen mit entsprechendem Einsatz auch Traditionen bewahrt und fortgeführt werden können. Mein Kompliment und Respekt an alle Beteiligten.

Das Stück selbst besticht eher durch seinen putzigen Charme als durch große musikalische Wirkungen oder inhaltliche Offenbarungen – wobei es schon mehr als ein müdes Lächeln Wert ist zu sehen, dass bestimmte Themen einfach seit jeher die Gemüter beschäftigten und auch weiter beschäftigen werden. Stichwort „Generationenkonflikt“, oder zumindest das wechselseitige Unverständnis der Gepflogenheiten der Jugend im Wandel der Zeit. Dass am Ende alles gut wird, steht von Beginn an außer Frage, was jedoch den harmlosen Spaß, den das Werk vermittelt, nicht schmälert.

Es geht ohnehin vielmehr darum, mit Freuden dem Spiel und Gesang der wunderbar herzlich ihre Rollen ausfüllenden Darsteller beizuwohnen. Ihr Auftreten, erarbeitet mit Mitteln des Barocken Gestenkatalogs, ist eher von erfreulich organisch-improvisierter Wirkung als mechanisch oder sklavisch, wie man vielleicht vermuten könnte. Ohnehin scheint die Chemie in diesem kleinen Ensemble zu stimmen.

Die Musiker von der Empore tragen ihren Teil zum harmonischen Ganzen bei, man ist bei der Sache, hier und da huscht ein Schmunzler über das Gesicht der Solisten. Auch wenn ich nach der Darbietung nicht den Drang verspüre, das gesamte musikalische Oeuvre ihrer Durchlaucht kennenlernen zu müssen, habe ich mich doch gut unterhalten gefühlt, wobei sich die Herzogin das beste Material eindeutig für Terzett und Quartett des Finale aufgehoben hat.

Für Goethe-Fans ist das Ganze sicher inhaltlich noch weitaus spannender, aber auch jedem Opernfreund sei ein Besuch bei diesem Musiktheater-Nucleus empfohlen – vor allem wegen der Menschen, die ihn formen. Bezeichnend, dass alle Beteiligten nach der Aufführung bei einem Glas Liebhaber-Theater-Sponsorensekt für einen kleinen Plausch zur Verfügung stehen. Kultur zum Anfassen eben, so könnte das inoffizielle Motto hier auf Schloss Kochberg lauten. Darauf ein Glas!


Erwin und Elmire – Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach
Arrangement für Flöte, Violine, Tasteninstrument und Singstimmen von Bernhard Klapprott
Musikalische Leitung / Cembalo – Christoph Dittmar
Gundula Mantu – Violine, Daja Leevke Hinrichs – Traversflöte
Regie – Nils Niemann
Kostüme – Kristina Weiß
Produktion – Silke Gablenz-Kolakovic, Christoph Dittmar
Eine Koproduktion des Liebhabertheaters Schloss Kochberg mit Cantus Thuringia & Capella

Elmire – Anna Kellnhofer, Sopran
Erwin – Benjamin Glaubitz, Tenor
Olympia – Barbara Christina Steude, Sopran
Bernardo – Carsten Krüger, Bariton

2. Juli 2016

Der Wildschütz – Pawel Poplawski.
Goethe-Theater Bad Lauchstädt.

14:30 Uhr, Galerie, Loge 3, Platz 12



Da hat sich der Herr Geheimrat aber einen putzigen Theaterstall ins Nirgendwo gesetzt. Die aktuellen Renovierungsarbeiten geben den Blick frei auf zweckdienliche Lehmziegel und Holzbalken, die noble Illusion der Putzfassade ist dem bäuerlichen Charme einer Scheune gewichen. Diese Offenlegung des Zweckbauskeletts ist nicht ohne Reiz, vervollkommnet sie doch im Verbund mit der im Anschluß an die Aufführung besuchten Hausführung den Eindruck, daß hier immer schon Inhaltliches vor Äußerlichkeiten kam. Ebenso amüsant wie lehrreich beispielsweise die Anekdote, daß das den Zuschauerraum beschirmende Deckensegel weniger der Referenz antiker Vorbilder, sondern in erster Linie der kostengünstigen Kaschierung der profanen Gewölbekonstruktion geschuldet ist. Irgendwie ziemlich sympathisch, dieser nett verpackte Pragmatismus.

Zumal das Ergebnis den Bauherren Recht gibt. Die Akustik ist vorzüglich, das kleine Orchester sehr präsent. Einzig die Streicher bzw. hautsächlich die Violinen sorgen bei mir für kurze Irritation, da sie auf meinem Platz deutlich von der rechten Seite zu vernehmen sind, obwohl sie brav auf der Linken Platz genommen haben – ein Kuriosum, daß vielleicht auf die tonnenförmige Decke zurückzuführen ist? Der Gesamteindruck erfährt durch diesen Umstand jedoch keinerlei Beeinträchtigung. Die Sänger sind meistenteils gut zu hören, wobei es hier natürlich auf die jeweiligen persönlichen Charakteristika der Stimmen ankommt.

Lortzings Wildschütz würde ich allen theaterhistorischen Meriten zum Trotz nicht unbedingt als Schwergewicht bezeichnen. Hab ich das Stück also auch mal gehört, anstatt nur in Opernführern und Co. darüber zu stolpern – Bildungslücke geschlossen, Thema erledigt. Die hier gezeigte Aufführung ist eine Produktion des Magdeburger Theaters, was insofern etwas schade war, da in dieser Inszenierung die historische Lauchstädter Bühnenmaschinerie logischerweise keine Verwendung findet. Zumindest konnte ich mir dessen Eingeweide bei besagter Führung kurz ansehen, was allerdings nur ein schwacher Ersatz für von Geisterhand bewegte Scherenwände und ähnliches ist, wie ich seit meinem Besuch des Theaters in Gotha weiß (Link).

Inhaltlich wie musikalisch ist Überforderung durch Stück und Umsetzung nicht zu befürchten – den größten Lacher des ersten Aktes landete man, indem eine Kuh-Attrappe durch gartenpumpenartiges Betätigen ihres Schwanzes gemolken wurde. Es wäre allerdings deutlich alberner gewesen, die leicht verdauliche Verwechslungskomödie mit bedeutungsschwangeren Metaebenen oder Zeitbezugs-Transplantationen zu befrachten. Die Magdeburger Inszenierung erzählt die kompliziert-einfache Geschichte mit leichter Hand und nicht ohne Selbstironie – wo wir beispielsweise wieder bei besagter Kuh wären. Überhaupt geben Bühnenbild und Ausstattung – abgesehen von den teilweise aufwändigen Kostümen – dem Ganzen einen bewusst attrappenartigen, übertrieben kulissenhaften Rahmen.

Niedliche Häuschen-Aufsteller, die von den Protagonisten durch einfache Luken betreten und verlassen werden, welche ihre Undreidimensionalität unterstreichen. Oder ein Interieur, das jeweils einzig aus typografisch angeordneten Begriffen den benannten Einrichtungsgegenstand bildet. Ein bisschen scheint es, als spiele sich die gesamte Handlung zwischen den Deckeln eines Buches ab. Gleich zu Beginn wird diese Assoziation mit dem als Buchtitel abgesetzten Namen des Stückes geweckt. Dazu passt irgendwie auch, dass die Darsteller sich mitunter eines regelrecht marionettenhaften Gestenrepertoires bedienen. Der Wildschütz oder die Stimme der Natur – also doch keine Personen aus Fleisch und Blut, sondern reine Fiktion?

Ich muss gestehen, dass ich mit diesen latent verklemmten Bäumchen-wechsel-Dich-Frivolitäten nicht viel anfangen kann. Dennoch würde ich behaupten, dass das Regieteam alles aus dem Stoff herausgeholt hat. Dazu trägt auch die offensichtliche Aktualisierung der Dialoge bei (Parsifal- und Tannhäuser-Bezugnahme, Begriffe wie „Schlampe!“ oder „Kapitalist!“ etc.), welche den wahrscheinlich arg ausgeblichenen Firnis des Original-Librettos hier und da ein wenig auffrischt. Das Magdeburger Ensemble und Orchester unter der lebendigen Stabführung Herrn Poplawskis garantieren musikalische Qualität fern jeglicher Provinzialität und stellen eindrucksvoll unter Beweis, dass das Lauchstädter Festival definitiv auch für Nicht-Goethe-Sentimentalisten eine Reise wert ist.

Fazit: Lortzing in Lauchstädt oder: auch schlichte Kost kann meisterhaft zubereitet sein.


Der Wildschütz – Albert Lortzing
Musikalische Leitung – Pawel Poplawski
Inszenierung – Aron Stiehl
Bühne – Simon Holdsworth
Kostüme – Dietlind Konold
Dramaturgie – Ulrike Schröder
Choreinstudierung – Martin Wagner

Graf von Eberbach – Roland Fenes
Die Gräfin, seine Gemahlin – Ks. Undine Dreißig
Baron Kronthal, Bruder der Gräfin – Ralf Simon
Baronin Freimann, Schwester des Grafen – Julie Marie du Theil
Nanette, ihr Kammermädchen – Jenny Stark
Baculus, Schulmeister – Johannes Stermann
Gretchen, seine Braut – Irma Mihelič
Pankratius, Haushofmeister – Peter Wittig
Bürgermeister – Thomas Matz
Tante Irmgard – Evelyn Nenow-Sambale

Opernchor des Theaters Magdeburg
Magdeburgische Philharmonie