21. Januar 2017

Einstürzende Neubauten.
Elbphilharmonie Hamburg.

21:00 Uhr, Etage 13, Bereich F, Reihe 4, Platz 17



Nimmt man mal den ganzen Hype um in Windeseile ausverkaufte Konzerte und Zusatzkonzerte, Witzchen über korrelierende Bandnamen und Spielstätten, sowie eine gewisse, grundbesoffene Übererwartungshaltung allerorten bei Seite, bleibt für mich als Quintessenz ein bemerkenswerter Abend, den ich mir irgendwie ganz anders vorgestellt hatte. Offenbar hatten nicht wenige Besucher den Weg in die Elbphilharmonie beschritten, ohne zwingend die Bezeichnung Neubauten-Fans auszufüllen, sei es, um der Neugier auf die vorgeblich ungewöhnliche Kombination aus Künstlern und Musentempel nachzugeben, oder einfach nur, um letzteren endlich selbst von Innen erkunden zu dürfen. Ich für meinen Teil falle dabei noch in eine weitere Zwischenkategorie – ich wollte diese Band gern einmal erleben, die in meinem musikalischen Bewusstsein schon immer eine feste, aber bislang weitgehend unbeschriebene Größe darstellte. Einzelne Stücke sind mir im Laufe meiner musikalischen Grundausbildung in Kindheit und Jugend begegnet. "Z.N.S." beispielsweise, oder viel später "Die Interimsliebenden", welche als Musikvideo vor der heimischen Glotze bestaunt wurden.

Meine Elektrofrickel-Sozialisation der Achtziger und frühen Neunziger hat bei mir unterschwellig den Verdacht nahe gelegt, daß auch diese geräuschversessene Gruppe eigentlich etwas für mich sein könnte. Eine tiefergehende Beschäftigung hat sich grundloserweise allerdings nie ergeben. Heute also gewissermaßen die Nachhilfestunde, lange nachdem man das Lehrinstitut verlassen hat. Ich kann meine Erwartungshaltung zwar nicht exakt definieren, aber auch fehlgeleitet durch das, seit jeher bei der um griffige Schlagzeilen und leichtgängige Schubladen bemühten Berichterstattung ausgetretene, Klischee des Krawall-Ensembles, würden mir im Nachhinein eine Vielzahl anderer Bezeichnungen für die Band einfallen: Atmosphäriker, Klangfetischisten, Lyriker, Avantgardisten zum Beispiel. Spannend, wie sehr diese Musik Parallelen zu von mir geschätzten Vertretern der elektronischen Hemisphäre aufweist, wobei eine derartige Trennung natürlich per se schon hinkt. Die Mittel sind das eine, die Verfahrensweisen und Muster das andere.

Oftmals wird hier wie dort mit relativ simplem, sparsamem Material als Grundlage durch die Stilmittel der Wiederholung und Variation ein Fluß erzeugt, der mitunter tranceartige Züge annimmt und eine Basis für die verschiedensten Klangkombinationen- und Wirkungen schafft. Komplexität tritt somit weniger strukturell, als vielmehr in Bezug auf die Instrumentation, durch Anreicherung und Verdichtung, auf; groß angelegte Crescendi oder Schichtungen sorgen für Steigerungen größter Intensität. Das Amalgam aus "klassischem" Rockbandinstrumentarium (Bass, Gitarre, Schlagzeug ...) und Line-up (Frontman etc.), sowie elektronischer wie mechanisch-analoger Mittel der Geräuscherzeugung, bietet eine Erweiterung des Klangvokabulars, welche mit schlichtem "Lärm machen" rein gar nichts zu tun hat. Etwaige reißerische Umschreibungen in dieser Richtung greifen definitiv ins Leere, dafür ist diese Musik bei weitem zu komplex und intelligent angelegt – Krach kann man deutlich einfacher haben. Schade, daß ich die einzelnen Kompositionen nicht schon vorher kannte, so sind mir ohne Zweifel noch viele Feinheiten entgangen. Ein Grund mehr, diesen bei einer ausgedehnten Zeitreise durch das Schaffen der Band, Album für Album, nachzugehen.

Ach ja, fast vergessen: Auch akustisch gesehen hat mir das "Experiment" sehr gefallen, zumal von einem eher gewöhnungsbedürftigen Platz neben der Bühne aus. Besonders beeindruckend dabei die Vereinbarkeit von direkt Wahrgenommenem (z.B. nackter Fuß auf Bühnenparkett; knisternde Rettungsfolie) und Verstärktem, das immer noch durch eine gewisse Illusion der Ortbarkeit die Nähe zur Bühne herstellte. Oder ebenfalls darauf bezogen: Krach geht anders.