31. Januar 2017

NDR Elbphilharmonie Orchester –
Thomas Hengelbrock.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:30 Uhr, Ebene 13, Bereich E, Reihe 4, Platz 10



Bedřich Smetana – Vlatana (Die Moldau)
Maurice Ravel – Tzigane (Patricia Kopatchinskaja – Violine)
Zugabe: Maurice Ravel – Sonate für Violine und Violoncello,
2. Satz " Très vif"
(Patricia Kopatchinskaja – Violine, Nicolas Altstaedt – Violoncello)

(Pause)

Richard Strauss – Suite aus „Der Rosenkavalier“ op. 59
Zugabe: Richard Wagner – Lohengrin, Vorspiel 3. Akt



Wer am Veranstaltungstag wach und online ist, kann momentan fast bei allen Konzerten in der Elbphilharmonie noch Glück haben und eine Karte erhaschen. So bekam ich am Dienstag spontan die Möglichkeit, das NDR Elbphilharmonie Orchester unter seinem Chefdirigenten das erste Mal live in ihrer neuen Heimstätte zu hören, nachdem ich das Eröffnungskonzert nur aus der Konserve erlebte (Link). Dabei besonders aufschlussreich: mein Platz war nahezu identisch mit jenem bei der Wiener Offenbarung vor ein paar Tagen (Link). Dann steht einer Prüfung auf Herz und Nieren nebst Vergleich also nichts mehr im Wege.

Ich muss sagen, dass ich die "Gefahr", der Saal verzeihe keine Unzulänglichkeiten (bzw. mehr als andere), weiterhin so nicht nachvollziehen kann. Neben der wohl unstrittigen Transparenz, zeichnet ihn meiner Ansicht nach eher aus, klangliches Potenzial besser ins Bewusstsein zu bringen, oder, wie ich den heutigen Eindruck zusammenfassen möchte: der Saal schmeichelt dem NDR. Stärken, wie der feine Streicherklang, den ich seit jeher an diesem Orchester schätze, werden noch verstärkt – homogen, strahlend, von zurückhaltend bis durchdringend, alles auf Abruf vorhanden. Aber auch Elemente, die mich in der Vergangenheit eher weniger zu Begeisterungsstürmen hinreißen ließen, wie eine relativ harmlose Posaunengruppe, erfahren in der Elbphilharmonie eine deutliche klangliche Aufwertung. Zumindest in der Gestalt, dass die Äußerungen runder, plastischer rüberkommen, sich (eben trotz besagter Transparenz) besser in das gesamte Gefüge integrieren.

Sowohl die Rosenkavalier-Suite als vor allem auch die Wagner-Zugabe bot hier erhellendes Testmaterial – allerdings auch in der Form, dass man sehr wohl hört, was weiterhin fehlt bzw. entwickelt werden muss: Persönlichkeit der Klangfarben und eben jenes ehrfurchtgebietende, satte Fundament, welches in anderen Orchestern von diesen Instrumenten ausgeht. Woran dies liegt, ob am Material und/oder der Spielweise, kann ich als musikalischer Laie nicht beurteilen – den Unterschied hören allerdings durchaus, und zwar in jeder Halle. Genauso wie den ein oder anderen Wackler oder unschönen Ansatz bei den Trompeten – das kann einem ziemlich wurscht sein, unter welchen akustischen Bedingungen man sich darüber auf die Lippe beißt. Aber lassen wir es mal mit dem Blech-Bashing gut sein, viel wichtiger: Insgesamt betrachtet war es ein richtig gutes Konzert!

Überhaupt scheint mir das ganze Konzept der "Konzerte für Hamburg"-Reihe sehr gelungen. Hengelbrock greift neben dem Taktstock immer wieder auch zum Mikrophon, um eingangs zu umreißen, was überhaupt auf dem Programm steht, und dann jedes einzelne Stück kompakt vorzustellen. Kein Fachchinesisch, sondern beispielsweise für die Moldau ein paar Hinweise zu eingesetzten Instrumenten und deren Funktion auf der sinfonisch gedichteten Fahrt Richtung Elbe – sympathisch und kurzweilig. Und auch wenn die Vermutung nahe liegt, dass sich ein Großteil der Besucher – wie ja ausdrücklich beabsichtigt – nicht aus dem Stammpublikum klassischer Konzerte rekrutiert (dem Aufruf nach legerer Kleiderordnung wird bereitwillig entsprochen, die Selfie-Dichte ist noch eine Spur höher und Haribo-Tüten sind sonst eher seltene Mitbringsel), ist die Atmosphäre während des Konzerts erfreulich konzentriert und weit weniger hustenbefrachtet als mancher Aboabend. Wahres Interesse schafft eben wahre Aufmerksamkeit.

Und die Musiker des NDR und ihr Chef verdienen diese auch, indem sie die Stücke mit klanglichen Finessen und überzeugender Lesart präsentieren. Die bereits unzählige Male befahrene Moldau sprudelt frisch und kräftig, die Mondschein-Passage verzaubert mit kristallenem Streichergewebe, feinen Holzbläsergirlanden und Harfenglanz; das Rosenkavalier-Konzentrat mundete als musikalische Kalorienbombe vorzüglich (hier haben mich vor allem die Hörner positiv überrascht). Hengelbrocks Dirigat ist durchweg überzeugend und gestaltet, beispielsweise wenn er die tänzerische Bauernhochzeit am Ufer der Moldau durch rhythmische Akzentuierung und leichte Verzögerungen schön derb und täppisch skizziert. Auch beim Strauss erreicht er eine bemerkenswerte Geschlossenheit der an sich losen Szenenfolge, selbst im Lerchenauischen Tumult greift alles ineinander, Rosenübergabe und Schlussterzett atmen den Zauber zum Stehen gebrachter Zeit. Einzig mit der leichten Tendenz, bei melodischen Steigerungen ein wenig ins Eilen zu verfallen, anstatt sie auszukosten, kann ich mich nicht anfreunden – ein Zug, der mir schon im Parsifal-Vorspiel der Eröffnung missfiel.

Meiner Bewunderung für Frau Kopatchinskaja habe ich zwar bei früheren Gelegenheiten bereits zur Genüge Ausdruck verliehen, doch auch der heutige Auftritt brachte wieder alles mit, um sich frisch in ihr Spiel zu verlieben. Feuereifer und Innigkeit; eine Spannung bzw. Gespanntheit, die alles unter 100 % Einsatz und Hingabe für das Werk ausschließt; rasende Virtuosität gepaart mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit. Daß sie für die Ravel-Zugabe den Solisten des kommenden Konzertes zum konspirativen Funkenschlagen auf die Bühne bat, unterstreicht, wie viel ursprüngliche Freude ihr das Musizieren bringen muss – und sowas überträgt sich leicht auf jede Zuhörerschaft.

Fazit: Die Konzerte für Hamburg halten das, was sie versprechen: Einen Abend komprimierte Einführung in die Welt der Klassik auf Spitzen-Niveau.