28. Januar 2017

Orchester der Hochschule
für Musik und Theater Rostock –
Hansjörg Albrecht / Christian Hammer.
St. Michaelis Hamburg.

18:00 Uhr, Südempore, Loge 2, Platz 5



Benjamin Britten – War Requiem op. 66
(Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg, Chor der Hochschule für Musik und Theater Rostock, Kammerchor "Vocalisti Rostochienses", Knabenchor Uetersen, Fionnuala McCarthy – Sopran, Wolfgang Klose – Tenor, Klaus Häger – Bariton)



Auch einen reichlich besetzten Brocken wie Brittens War Requiem, sollte man nicht aus akustisch zweifelhafter Position angehen, kommt es doch bei diesem riesenhaften Werk gerade auf die harmonischen Zwischentöne und behutsam umzusetzenden Feinheiten an. Über deren Gelingen am heutigen Abend zu urteilen, entbehrt, angesichts eines Platzes, der kaum mehr als eine vage Teilhabe am in weiter Ferne produzierten Klang gestattete, nahezu jeglicher Grundlage. Beim nächsten Michel-Konzert ist man schlauer – und vor allem hoffentlich früher dran, um sich dann gern außerhalb einer kleinen bestuhlten Abstellkammer ein Konzert zu gönnen.

Es wäre daher ebenfalls unfair, von dieser Warte auf die generelle akustische Qualität des Michel und seiner Eignung für solch eine Veranstaltung zu schließen, da sich unmittelbar mit dem Bezug der Loge eine dumpfe Haube über das Gehör senkte. Auf einer der freien Emporen oder unten im Gestühl wird sich ohne Zweifel ein anderer Eindruck geboten haben. Dennoch schien es mir im Nachhinein ratsam gewesen zu sein, einen Platz nicht zu weit vom Altar entfernt gewählt zu haben, da von dort die angesprochenen Zartheiten des Kammerorchesters sowie die meist ebenfalls filigranen Beiträge von Tenor und Bariton ihren Weg ins Kirchenschiff fanden. Auch hier ist es schwer, eine aussagekräftige Einschätzung der individuellen Leistungen zu geben – über wahrgenommene Tonhöhen hinaus mussten Klangfarben und Ausdruck eher aus dem musikalischen Fundus im Geiste ergänzt werden.

Was bleibt es also festzuhalten? Daß sich trotz besagter Hemmnisse die Schönheit, der Ideenreichtum und die ungeheuer berührende Kraft dieser vielleicht größten und großartigsten Schöpfung Brittens, im Großen wie im Kleinen, in der gesamten Anlage und unzähligen Details, immer noch übertragen, erschüttern, Demut und Anteilnahme erwecken. Natürlich entfesseln die enormen Steigerungen und dynamischen Explosionen, etwa das sich martialisch hochschaukelnde "Dies irae", der goldene Supernova-Glanz des "Sanctus" oder das sich in schmerzverzerrter Klage mit der letzten mahnenden Widerkehr des Schlachtenlärms verzehrende "Libera me", aufwühlende, berückende, niederschmetternde Klangwelten. Aber allein die simple harmonische Wendung, die zum ersten Mal zum Ende des "Requiem aeternam" (Kyrie eleison) erklingt und auch das ganze Werk beschließt, ist von solch beseelter Eingebung, daß mir Britten allein für diese wenigen Takte zum Größten wird, Persönlichstes und allgemein Humanistisches vereint. Der Appell an das Menschliche, Barmherzige; Wut und Trauer angesichts der Schrecken und Sinnlosigkeit des Krieges, äußern sich in Tönen wie in Worten – die Gedichte Owens haben Britten zu einigen der eindringlichsten, intimsten Äußerungen inspiriert, die es für Vokalsolisten auszufüllen gibt.

Schmerzlich, von diesen fragilen Schlüsselstellen heute weitgehend ausgeschlossen zu sein. "Move him into the sun", das der Tenor anstimmt; das "After the blast of lightning" des Baritons, oder schließlich der Dialog beider im "Libera me", bei dem sich zwei gefallene Soldaten im Jenseits begegnen ("I am the enemy you killed, my friend") und durch ihr "Let us sleep now" den tieftraurigen, aber gleichzeitig tröstlich-hoffnungsvollen Ausklang der Komposition einleiten. Größten Respekt, dass sich der Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor gemeinsam mit weiteren Mitwirkenden aus dem Norddeutschen Raum und den Solisten der Mammutaufgabe gestellt und mit diesem Requiem auf den Krieg ein Zeichen für den wohl leider ewig aktuellen Wunsch nach Frieden in der Welt gesetzt hat.