31. März 2017

Kleiner Konzertchor Blankenese – Dieter von Sachs. Kath. Kirche Maria Grün Hamburg.

20:00 Uhr, freie Platzwahl

Joseph Haydn – Kanon, Tod ist ein länger Schlaf
Antonio Lotti – Crucifixus für 8 Stimmen
Ludwig van Beethoven – Bitten, Klavier und Sopran (Mascha Zippel – Sopran, Fabian Höfer – Klavier)
Felix Mendelssohn Bartholdy – Denn er hat seinen Engeln (8 Stimmen)
John Rutter – I Believe In Springtime
Henry Purcell – O Blow Ye The Trumpet (Steffi Arnold – Sopran, Renanto Kroll – Tenor, Fabian Höfer – Klavier)
Johann Sebastian Bach – Motette Nr. 3, Jesu meine Freude

26. März 2017

Die lustige Witwe – Florian Erdl.
Theater Itzehoe.

15:00 Uhr, Parkett links, Reihe 3, Platz 19



Diese Produktion des Landestheaters Schleswig-Holstein vereint alle Zutaten, die man für einen perfekten Operettenabend benötigt. Ein gut aufgelegtes Orchester mit einem Dirigenten, der einerseits für Elan und Spritzigkeit sorgt, auf der anderen Seite auch ein Gespür dafür besitzt, Gefühlvolles und vor allem Sentimentales davor zu bewahren, in Kitsch abzugleiten. Dazu genau die richtige Mischung aus eher sängerisch und eher schauspielerisch prädisponierten Darstellern, wobei Überschneidungen in beiden Richtungen natürlich wünschenswert und, wie man heute wieder erleben konnte, kein Ding der Unmöglichkeit sind.

Ob es Anna Schoeck in der Titelpartie ist, die über ihr vorzügliches stimmliches Ausdrucksvermögen hinaus auch darstellerisch die gesamte Klaviatur von kokett über sinnlich bis verletzlich beherrscht, oder Ansgar Hüning als Graf Danilo, bei dem der Schwerpunkt noch mehr auf dem Schauspiel liegt, so dass er die Partie über reinen Schöngesang hinaus mit Charakter füllt – bis hin zum Sprechgesang, bzw. halb Gesungenem, halb Gefluchtem in der großen Eifersuchtsszene. Und zu guter Letzt hilft es, ein derart beliebtes wie unverwüstliches Werk wie Die lustige Witwe mit einer dienlichen wie visuell opulenten, die Schauwerte stetig steigernden Inszenierung funktionieren und trotzdem glänzen zu lassen. Allein die simple wie effektvolle Integration des Fächers als Leitmotiv in das Bühnenbild zeugt von einem Regieteam mit kreativem Blick für das Wesentliche. Nicht unerwähnt bleiben dürfen auch die mitreißenden Auftritte des Ballettensembles.

Wenn all diese Faktoren – so wie heute – zusammentreffen, hat Operette nichts Belächelnswertes für den Musiktheaterfreund. Die kleine Schwester der Oper behandelt das allzu Menschliche, die vermeintlich banalen Fallstricke menschlicher Beziehungen mit dem Mittel der humoristischen Übertreibung und Entlarvung nicht weniger intelligent oder tiefsinnig als manch brütendes Sittengemälde. Die einfache, teils karikaturhafte Charakterzeichnung sollte man nicht mit Seichtheit verwechseln, wenn es darum geht, uns, sicher auf humorvolle, unterhaltsame Weise, den Spiegel vorzuhalten. Wir erblicken Menschen, die den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen (wollen). Menschen, die sich (mit ihrem Ego oder falschen Stolz) selbst im Weg stehen. Die Tragik des Banalen ist unter dem Brennglas nicht weniger tragisch als jene der Dinge, die die Welt bedeuten – bzw. doch oft ein und dasselbe.

Es gäbe heute vieles im Detail zu loben und besondere Leistungen hervorzuheben, ich möchte es aber einfach mal bei folgendem Fazit belassen: Wenn’s stimmt, dann stimmt’s.


Franz Lehar – Die Lustige Witwe
Musikalische Leitung – Florian Erdl
Inszenierung – Markus Hertel
Ausstattung – Erwin Bode
Choreinstudierung – Bernd Stepputis
Choreografie – Catalin Tiganasu
Dramaturgie – Anne Sprenger

Baron Mirko Zeta – Markus Wessiack
Valencienne, seine Frau – Tina Marie Herbert
Graf Danilo Danilowisch – Ansgar Hüning
Hanna Glawari – Anna Schoeck
Camille de Rosillon – Christopher Hutchinson
Vicomte Cascada – Marian Müller
Raoul de St. Brioche – Samuel Smith
Bogdanowitsch – Kai-Moritz von Blanckenburg
Sylvaine – Alma Samimi
Kromow – Lucian-Nicolaie Cristiniuc
Olga – Eva Eiter
Pritschitsch – Octavian Georgescu
Praškowia – Rhonda Lehmann
Njegus – Jürgen Böhm
Lolo – Anja Herm
Dodo – Tamirys Candido
Jou-Jou – Yuri Tamura
Frou-Frou – Risa Tero
Clo-Clo – Anna Schumacher
Margot — Tanja Probst

Opernchor, Damen des Extrachors und Herren der Ballettcompagnie, Statisterie
Schleswig-Holsteinisches Sinfonieorchester

23. März 2017

Orquesta Sinfónica Simón Bolívar de Venezuela –
Gustavo Dudamel. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 16, Bereich V, Reihe 2, Platz 18



Ludwig van Beethoven – Sinfonie Nr. 9 d-Moll op. 125

(Julianna Di Giacomo – Sopran, Tamara Mumford – Mezzosopran, Joshua Guerrero – Tenor, Soloman Howard – Bass, EuropaChorAkademie)



Dudamel zum Dritten, oder: die Neunte aus luftiger Höhe. Dafür, dass man hier unterm Dach so ziemlich am Ende der preislichen Nahrungskette angekommen ist, hört und sieht man ausgesprochen gut. Der Blick steil nach unten, aufgrund der Trichterform des Saales eher mit dem Rangempfinden in manchem Opernhaus vergleichbar, gewährt nicht allein beste Sicht auf den imposant von der Decke tropfenden Schallpilz, sondern lässt auch das Bühnengeschehen weitgehend frei einsehbar, ohne sich dafür den Hals auskugeln zu müssen. Dennoch werden Ausflüge ins Gebälk bei mir in Zukunft nach Möglichkeit eher selten stattfinden, dafür bin ich einfach zu gern unmittelbar im Geschehen dabei. Von hier oben klingt alles fein und ausgewogen, aber auch ein bisschen distanziert – zumindest für Krawallbrüder wie mich. Spätestens beim Chor sollte einem schon die Birne wegfetzen, sonst kann ich auch daheim die Kalotten entstauben. Aber geschenkt, Lautstärke ist nicht alles, die Neunte ist und bleibt ein besonderes Erlebnis.

Woran Dudamels Handschrift auch heute großen Anteil hat. Zupackend und kontrastreich im ersten und vierten Satz, auf dem Rhythmus-D-Zug durch den zweiten, einzig der überirdisch schöne dritte Satz blieb, trotz betont langsamer, inniger Lesart, relativ wirkungslos. Was auch einigen Störfaktoren in unmittelbarer Nachbarschaft geschuldet sein mag – bräsiges Getuschel, Handygefummel und mehrfaches lautstarkes Umgraben des Handtascheninhaltes helfen jetzt auch nicht direkt, die Konzentration hochzuhalten. Dafür war dann wiederum die behutsamst möglich vollzogene Einführung des Freude-Themas in den tiefen Streichern an unhörbarer Wucht kaum zu übertreffen. Leises klingt in diesem Saal auch hier oben einfach unbeschreiblich beeindruckend. Orchester und Solisten schlugen sich wacker, die vor dem Chor postierten Sänger waren gut zu vernehmen, wenn auch nicht immer textverständlich. Solche Probleme kennt die EuropaChorAkademie natürlich nicht, die Damen und Herren avancierten zu den heimlichen Helden des Abends.

Das Fazit nach dreimal ¡Viva Beethoven!: Dudamel hat's drauf, seine Kollegen aus der Heimat machen ihre Sache gut, können allerdings mit Orchestern der Weltspitze nicht mithalten. Trotzdem bleibt unter dem Strich dreimal Ludwig van mit Schmackes und Gefühl, was bei diesen gleichermaßen geliebten wie ausgenudelten Werken keine Selbstverständlichkeit darstellt. ¡Muchas gracias!

22. März 2017

Orquesta Sinfónica Simón Bolívar de Venezuela –
Gustavo Dudamel. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



















Ludwig van Beethoven – Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92

(Pause)

Ludwig van Beethoven – Sinfonie Nr. 8 F-Dur op. 93



Zweiter Eintrag zur Testreihe Beethoven – und gleich eine akustische Überraschung. Die nahezu identischen Zutaten ergeben auf meinem zweiten Aboplatz, wohlgemerkt von Montag auch nicht viel mehr als einen Hustenbonbonwurf entfernt, ein vollkommen anderes Ergebnis bzw. Hörerlebnis: Der Klang ist durch den geringeren Abstand zur Bühne deutlich direkter, dabei allerdings auch weit weniger homogen. Was noch schwerer wiegt, ist der Umstand, dass diese zusätzliche Nähe die Akustik auch weniger gutmütig erscheinen lässt – oder anders ausgedrückt, den Damen und Herren aus Venezuela weniger schmeichelt. Mängel bei den Hörnern treten zutage, die Streicher erscheinen nicht so voll, alles wirkt etwas unbehauen.

Dabei sagt mir Dudamels Interpretation weiterhin sehr zu. Der erste Satz der Siebten noch am unspektakulärsten, im langsamen zweiten nimmt man sich viel Zeit, um den soghaften Aufbau intensiv zu gestalten. Die beiden schnellen Sätze dann wirklich im Affenzahn. Hier zeigt sich wieder der Unterschied zur Weltspitze in puncto Technik – insbesondere den schnellen Läufen mangelt es des Öfteren an Präzision, der geölte Blitz zieht leichte Fäden. Trotzdem mehr als mitreißend. Die Leute sind schwer begeistert. Kann man auch sein – ein überaus leidenschaftliches Plädoyer für Beethoven. Der Musikwissenschaftler mag mich belächeln, aber Wahnsinn, was allein die Aufteilung der Streicher in der Behandlung des Allegretto-Themas für eine Wirkung entfaltet: Während die Bratschen mit dem Thema beginnen, werden sie von den 2. Violinen begleitet, welche es dann ihrerseits übernehmen, begleitet von den ersten, bis die Melodie schließlich dort in der hoher Lage intoniert erstrahlt – so einfach wie genial.

Bei der Achten bin ich zum ersten Mal nicht ganz auf Dudamels Wellenlänge. Die habe ich seinerzeit unter Zagrosek schon für meine Begriffe interessanter erlebt. Die Interpretation ist keine schlechte, betont aber mehr das elegante, als das bissige Moment, welches der Sinfonie dann eine fast schon ironische Note verleiht. Das Finale gerät in dieser „braven“ Konzeption noch am packendsten – Dudamel hat einfach ein Händchen, rhythmische Spannung aufzubauen und zu entladen, ohne dabei schroff oder vulgär zu sein. Es knallt, aber mit Stil und immer mit dem Blick für die Zusammenhänge.

Letztere, bezogen auf die Faktoren, welche ein Konzerterlebnis als Ganzes prägen und die Akustik bzw. ganz konkret die Platzwahl im Besonderen, lassen mich nach dem Vergleich von heute und Montag doch den Reflex zu klaren Urteilen in Zweifel ziehen. Bleibt die Einordnung eines Dirigates, einer Lesart, ohnehin immer dem eigenen Geschmack und Erfahrungshintergrund verhaftet, ist es doch verblüffend, wie sehr die Platzwahl selbst in einer wunderbaren Halle wie der Elbphilharmonie massiven Einfluss auf die wahrgenommene Qualität eines Klangkörpers hat. Am Montag Champions League, am Mittwoch Bundesliga – mit derselben Mannschaft. An welchem Tag hatte ich nun „Recht“? Am Ende ist das natürlich Mumpitz, erklärt aber vielleicht, warum in den Tagen und Wochen nach der Eröffnung so viel Widersprüchliches (und Stuss) geschrieben wurde. Der objektive Konzertbericht, ein rührendes Stück Utopie – Beethoven kann es wurscht sein.

20. März 2017

Orquesta Sinfónica Simón Bolívar de Venezuela –
Gustavo Dudamel. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 3, Platz 13



















Ludwig van Beethoven – Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 „Eroica“

(Pause)

Ludwig van Beethoven – Sinfonie Nr. 4 B-Dur op. 60



Erster Eintrag Forschungsgruppe Elbphilharmonie / Testreihe Beethoven, mit freundlicher Unterstützung durch Gustavo Dudamel und sein Heimatorchester: Ein Komponist, ein Dirigent, ein Klangkörper, drei Konzerte auf drei verschiedenen Plätzen – das sollte doch einiges an Erkenntnissen bringen. Weitere Erkenntnisse über die Akustik des Saales, darüber hinaus bezogen auf die ewige Suche nach „dem“ Beethoven.

Um gleich mal mit meinem persönlichen Glanzstück des Abends einzusteigen: Im Trauermarsch hat es mich förmlich zerlegt – es türmt und trotzt und trifft bis ins Mark. So soll es sein. Auch wenn das Orchester klanglich und technisch nicht mit den Wienern oder Berlinern mithalten kann, holt Dudamel unglaublich viel aus seinen Kollegen heraus. Erster Eindruck erster Satz: relativ gesittet, fast schon gemütlich. Auf keinen Fall radikal oder eckig, eher voll, satt, romantisch. Ausgefuchste Dynamikregelung. Aber doch durchaus energisch im weiteren Verlauf. Der zweite Satz dann eine Welt für sich. Das folgende Scherzo äußerst flott und bissig – größtmöglicher Kontrast zum monumentalen Tableau des Trauermarsches. Das Finale voller dynamischer Kontraste und rhythmischem Feuer. Bei einer Passage (grimmig) geht Dudamel richtig ab, pusht seine Leute spürbar, treibt sie fast schon vor sich her. Unmittelbar darauf wieder ein Kontrast, diesmal im Ausdruck: Dudamels Beethoven ist beileibe nicht nur drängend und ruppig, sondern über weite Strecken eine sehr elegante Angelegenheit. Insgesamt zeichnet den Maestro ein sehr ökonomischer Dirigierstil mit wenigen klaren Schlaglichtern aus. Scharfe Einsätze ja, aber eben auch ganz viel Rundes und Zartes für den Fluss.

Die Akustik auf 13 E ist voll beethoventauglich, auch ohne Posaunen knallt das Blech ordentlich (4 Hörner, 2 Trompeten), ohne penetrant aufzufallen. Die Trompeten bekrönen wunderbar plastisch das Gefüge des ganzen Orchesters. Insgesamt ein sehr druckvoller Klang, bei dem vor allem wieder der satte Bassgrund und die atemberaubende Transparenz begeistern. Das bei anderen Gelegenheiten teilweise wahrgenommene „Streicherproblem“ (Violinen, weniger Bratschen und Bässe, gehen im Tutti bei großer Lautstärke gegenüber den Bläsern tendenziell unter) ist heute absolut nicht spürbar. Sehr, sehr überzeugend. Die Konzentration im Saal gestaltete sich relativ gut, was einigen pianissimo ausgeführten Momenten sehr zugute kam. Das macht richtig Spaß. Auch das Orchester selbst. Alle Soli top, nur einmal minimale Hornunsicherheit. Ach ja, dieser Beethoven klingt übrigens keinen Deut südamerikanisch, er klingt einfach richtig.

Nach der Pause das gleiche Bild. Die dritte Sinfonie ist vielleicht sogar meine Lieblings-Beethoven, aber die vierte hat es auf andere Art in sich. Seltsam modern, gewitzt, tückisch, ich möchte fast sagen schelmisch oder gar verschlagen, noch mehr Musik über Musik bzw. dessen Bausteine. Die Offenbarung hier: der Streicherklang, den Dudamel für den zweiten Satz auspackt – himmlisch seidig! Diese Vierte wartet immer wieder mit Überraschungen auf. Im Scherzo fühle ich mich plötzlich stark an Bruckner erinnert? Scherzo und Finale hätten übrigens teilweise doch etwas mehr Präzision in den schnellen Streicherpassagen vertragen. Dennoch kommt die sehr knackige Lesart gut rüber. Trotzdem kann Dudamel für den gleichen Zyklus gern mit den Berlinern oder vielleicht seinen Freunden aus Los Angeles wiederkommen – „sein“ Beethoven lohnt sich.

12. März 2017

Zar und Zimmermann – Gerrit Prießnitz.
Volkstheater Rostock.

15:00 Uhr, Parkett rechts, Reihe 5, Platz 94



Ein gut aufgelegtes Orchester, vorzügliche Sänger, eine ambitionierte Inszenierung, ein stimmiges Bühnenbild, pracht- und liebevoll gestaltete Kostüme – was will man mehr? Ein Stück, das all diese Mühen verdient hat, vielleicht. Das mag hart klingen, doch nun, da ich nach dem Wildschütz in Bad Lauchstädt (Link) mit „Zar und Zimmermann“ das wohl bekannteste Werk aus der Feder Lortzings kennenlernen durfte, kann ich diesen Komponisten getrost zu den Opernenzyklopädie-Akten legen. Für mich ist das nichts.

Nicht meine Vorstellung von Humor, von Dramaturgie, und vor allem nicht von musikalischer Attraktivität. Wäre letztere vorhanden, könnte ich mich ohne Frage viel leichter mit der Seichtheit und Vorhersehbarkeit anfreunden, über die ein Abend heiter-gemütlicher Unterhaltung auch nicht hinausgehen muss. Eine Verwechslungsklamotte braucht keinen philosophischen Über- oder Unterbau, um Menschen zum Lachen zu bringen und für ein paar nette Stunden zu sorgen. Die mehr als zweieinhalb Stunden Zarencharade hätte ich dann aber doch lieber gegen manch bissig-freche Operette eingetauscht, obwohl, oder gerade weil die Qualität der Umsetzung in Rostock so vorzüglich geriet. Wenn unter diesen Voraussetzungen der Funke nicht überspringt, ist Lortzing für mich verloren.

Kommen wir also lieber zur erfreulichen Entdeckung des Tages – Das Rostocker Haus birgt in seiner schmucklosen Hülle bestes Musiktheater. Bis auf Oliver Weidunger, der dem herrlich blasierten Bürgermeister mit spürbarer Spielfreude und wohligem Bass Leben einhaucht, sind alle weiteren großen Rollen mit Ensemblemitgliedern besetzt, die der Sängerriege eine enorme qualitative Geschlossenheit verleihen. Sei es Grzegorz Sobczak als schneidiger Zar, dessen Stimme sowohl über Durchsetzungsvermögen als auch Ausdruck verfügt, der frische, helle Sopran Katharina Kühns oder die beiden grundverschiedenen Tenorrollen – hier der kräftig-ursprüngliche Peter Iwanow (James J. Kee), dort der eher eng und hoch geführte, kantable französische Gesandte (Matthew Peña) – sie alle geben einzeln und im Verbund ein Musterbeispiel für eine typgerechte, stimmige Besetzung ab.

Und auch die Regiearbeit liefert einiges, um der schlichten Handlung Abwechslung einerseits, einen zarten Hauch Tiefgang andererseits abzugewinnen. Eine Fülle an eingestreutem visuellen Schabernack und Running Gags, gern mit einem Hang zum Absurden, sorgen immer wieder für willkommene Irritationsmomente. Dabei hat das Team von der Stofftierkatze mit Augenklappe, an der sich Marie schließlich in einem Wutanfall abreagiert, bis hin zu den Tauchern, welche wiederholt den stilisierten Schiffsbauch der Bühne wie auf der Suche nach versunkenen Schätzen durchwatscheln, tief in die Nonsens-Truhe gegriffen. Ebenso sind die einzelnen Charaktere teilweise köstlich überzogen gestaltet, allein schon wenn man sich die verschiedenen Ausformungen männlichen Balzverhaltens besieht – von denen der virile Highlander-Lord und der windige Gockel-Marquis sicher beide den Vogel abschießen.

Andererseits werden die monologischen Auftritte des Zaren dafür genutzt, dieser Figur über ihre Funktion als Dreh- und Angelpunkt des allgemeinen Identitätsversteckspiels hinaus mehr Tiefe zu geben. Den Modernisten Peter plagen dabei albtraumhafte Visionen, in denen das Abschneiden alter Zöpfe, in diesem Fall Bärte, mit dem gewaltsamen Tod von Menschen einhergeht, die schließlich in Selbstmordfantasien gipfeln. Das Bild des jungen Zaren in Uniform, unter dessen Schlägen der Militärtrommel Namenlose ihre Hinrichtung erfahren, wird in der finalen Szene des Stückes wieder aufgegriffen, wenn sich die Bürger zu Peters Takt in die Riemen legen – Der nette Kumpel-Kaiser bleibt hier letzten Endes wohl doch (auch) Schinder und (Kriegs?-)Treiber.

Bühnenbild und Ausstattung sind mit dem Blick für Details gestaltet, das Gleiche gilt für die aufwändigen Kostüme in historisierendem Lokalkolorit. Verschiedene Lichtinszenierungen sorgen für zusätzliche Abwechslung – ein besonders gelungenes Beispiel: Die Verhörszene, in der die Bühne durch vom Schnürboden herabgelassene Industrieleuchten in schummriges Licht getaucht ist, die Van Bett dann Peter Iwanow jeweils als Verhörlampen ins Gesicht richtet. Weitere visuelle Attraktionen kommen durch die Tanzcompagnie, aber auch durch den Chor ins Spiel, der als Zimmerleute und Gemeindemitglieder mit recht detailversessener individueller Personenregie bedacht wird – die Werft und ganz Saardam lebt.

Fazit: Rostock begeistert, Lortzing enttäuscht. Zum Glück ist der Weg von Hamburg nicht so weit, um diese Qualität noch einmal in etwas Gewichtigeres investiert zu sehen.


Albert Lortzing – Zar und Zimmermann
Musikalische Leitung – Gerrit Prießnitz
Nachdirigat – Hans-Christian Borck
Inszenierung – Anja Nicklich
Ausstattung – Antonia Mautner Markhof
Choreografie – Katja Taranu
Choreinstudierung — Joseph Feigl

Peter der Erste, Zar von Russland – Grzegorz Sobczak
Peter Iwanow, ein junger Russe – James J. Kee
Van Bett – Oliver Weidunger
Marie, die hübsche Nichte – Katharina Kühn
General Lefort, russischer Gesandter – Maciej Idziorek
Lord Syndham – Florian Spiess
Marquis von Chateauneuf – Matthew Peña
Witwe Browe – Rita Lucia Schneider
Offizier – Tim Grambow
Ratsdiener – Marco Geisler / Victor Sudmann
Ein Brautpaar – Tanzcompagnie des Volkstheaters Rostock
Der junge Zar – Anton Keck
Polizisten, Taucher, Ratsdiener – Komparserie

Norddeutsche Philharmonie Rostock
Tanzcompagnie des Volkstheaters Rostock
Opernchor des Volkstheaters Rostock
Komparserie

9. März 2017

John Malkovich – Just Call Me God.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Ebene 12, Bereich A, Reihe 1, Platz 6



Die bereits dritte Zusammenarbeit auf der Bühne zwischen Malkovich, Sturminger und Haselböck hat das bislang zugänglichste, massentauglichste Programm hervorgebracht. Die Entwicklung von der monologischen One-Man-Show der „Infernal Comedy“ über das Ensemblestück der „Giacomo Variations“ (Link) geht hier in eine relativ klassische Richtung – ein „vollwertiges“ Theaterstück, ein Kammerspiel mit Musikbegleitung, ist das Ergebnis. Natürlich dient auch „Just Call Me God“ in erster Linie dazu, dem berühmten Schauspieler eine Bühne, in diesem Fall gar ein Podium, für die Entfaltung seiner selbst als darstellerische Naturgewalt zu bieten. Nach „Serienmörder“ und „Casanova“ stellt der Themenkomplex „Diktator“ die nächste Variation des ich-fixierten Dominators dar, die Malkovich auch gemäß der mit seiner Person (oberflächlich) verbundenen Rollentradition weidlich nutzt, um nach Herzenslust wahlweise zu sinnieren und zu schäumen.

Dass die Erschaffung einer Art personifizierten Diktatorenkaleidoskops gleichzeitig die Möglichkeit der eher archetypischen, überzeitlichen Behandlung des Charakters bietet, andererseits das Spiel mit Klischees und aus dokumentarischer wie filmischer Aufbereitung allseits bekannten Standardsituationen die Gefahr einer gewissen Vorhersehbarkeit in sich trägt, ist gleichermaßen Segen und Fluch für das Stück selbst. Dieses trägt letztlich nur bedingt als dramatische Handlung, dafür sind Aufbau und Wendungen zu sehr Versatzstücke aus Quellen, die man so oder so ähnlich an anderer Stelle bewusst oder unbewusst bereits aufgenommen und verinnerlicht hat. Aber wahrscheinlich ging es Sturminger auch weniger darum, das originellste Theaterstück aller Zeiten abzuliefern, als vielmehr den Déjà-vu-Charakter des despotischen Wahnes und seiner Folgen zu unterstreichen.

Sicher, das Stück bietet gute Unterhaltung, sogar eine Menge mehr Humor, als ich je bei dieser Thematik erwartet hätte (was im Nachhinein betrachtet absolut sinnvoll ist, um nicht den Tod der Betroffenheitsmonotonie zu sterben), aber „Just Call Me God“ ist da am stärksten, erschütterndsten, wo Sturminger Malkovich Grundsätzliches in den Mund legt, das in seiner Dichte und Schonungslosigkeit essentielle Fragen aufwirft. Wer oder was ist „das Böse“? Ab wann wird aus einem „guten“, dienlichen Machthaber ein „böser“? Welchen Anteil haben Politik und Medien an der Etablierung klarer Feindbilder – in Autokratien, aber auch in Demokratien? Es steckt schon etwas mehr in dem Libretto, als eine bloße Stichwortsammlung, nach der Malkovich publikumswirksam austicken kann.

Zur musikalischen Seite bleibt festzuhalten, dass sich die Orgel sehr wohl als akkompagnierendes „Machtinstrument“ eignet – welches noch dazu in diesem Saal herrlich klingt. Auch hier hat es mir, wie schon im Konzertbetrieb, der Bassbereich angetan. Sehr eindrucksvoll. Auf die elektronische Verfremdung von Instrument und Stimme zum Ende hin hätte ich verzichten können, obwohl diese Form der Steigerung ins Überlebensgroße dramaturgisch natürlich durchaus nachvollziehbar ist.

Fazit: Meine Idealvorstellung des heutigen Abends hätte wohl etwas anders ausgesehen – Malkovich am Pult, dazu die Orgel, sonst nichts. Keine Interaktion, keine Mätzchen, ein gestalteter Monolog statt Theater. Ob das abendfüllend funktioniert, kann ich nicht sagen. Der Versuch hätte zumindest vor gleichsam ausverkauftem Hause stattgefunden, soviel ist sicher.


Just Call Me God: A Dictator’s Final Speech

Buch, Regie und Produktion – Michael Sturminger
Orgel, Musikalisches Konzept und Produktion – Martin Haselböck
Bühne und Konzeption – Renate Martin, Andreas Donhauser

John Malkovich – Diktator Satur Diman Cha
Sophie von Kessel – Caroline Thomas
Martin Haselböck – Reverend Lee Dunklewood
Errol T. Harewood – Lt. Alexander Vronsky
Felix Dennhardt – Vincent Schluszman
Josef Rabitsch – Joseph Sokol
Valentin Ledebur – Neil Forrester
Franz Danksagmüller – Live-Elektronik und Sound-Design

Mit Auszügen aus:

Johann Sebastian Bach – Toccata und Fuge d-Moll BWV 565
Richard Wagner – Der Ritt der Walküren
Johann Sebastian Bach – Alle Menschen müssen sterben BWV 643
Johann Sebastian Bach, Franz Liszt – Variationen über „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ S 180
Martin Haselböck – A whiter Air (Bach); The Grand Anthem (Charles Ives – Variations on America)
Martin Haselböck, Franz Danksagmüller – Sound Collage; Grand Organ Macabre Harmonica; Bigger Than Life! / Grand Organ Improvisation / Psychocratic Barground Improvisation; Grand Organ Cacophonia; The Final Waltz (César Franck – Prélude op. 18/1 & Franz Schubert – Klaviersonate D 959/2)

6. März 2017

Klavierabend – Grigory Sokolov.
Laeiszhalle Hamburg.

19:30 Uhr, 2. Rang rechts, Seitenreihe 1, Platz 21



Wolfgang Amadeus Mozart – Klaviersonate C-Dur KV 545 „Sonata facile“
Wolfgang Amadeus Mozart – Fantasie c-Moll KV 475
Wolfgang Amadeus Mozart – Klaviersonate c-Moll KV 457

(Pause)

Ludwig van Beethoven – Klaviersonate Nr. 27 e-Moll op. 90
Ludwig van Beethoven – Klaviersonate Nr. 32 c-Moll op. 111

Zugaben:

Franz Schubert – Moment Musicaux Nr. 1 C-Dur D 780
Frédéric Chopin – Nocturne op. 9, Nr. 1 b-Moll
Frédéric Chopin – Nocturne op. 32, Nr. 2 As-Dur
Jean-Philippe Rameau – L’indiscrete
Robert Schumann – Arabeske op. 18 C-Dur
Frédéric Chopin – Prélude op. 28, Nr. 20 c-Moll



Von Sokolov bin ich ja bereits das Äußerste gewohnt. Die heutige Wundertat ging dann aber noch einen Schritt weiter: Mozart so zu präsentieren, dass sich zumindest für die Dauer eines Konzertes ein würdiges Duell mit Beethoven um meine Gunst entsponn. Wer hätte das gedacht. Nach einer eher gemütlich dahinplätschernden, fast schon konturlos, lieblich-breit vorgetragenen „Sonata facile“ trat – dem doppelten c-Moll von Fantasie und Sonate sei Dank – ein gänzlich anderes Antlitz Mozarts auf den Plan, welches viel mehr die Züge seines Bonner Kollegen aufwies, als ich es je für möglich gehalten hätte. Ein monolithischer, kühner Mozart? Oder wurde perfider Weise die Programmreihenfolge geändert, um mich zu narren? Nein, es ist tatsächlich der ungeliebte Salzburger, der hier unter Sokolovs magischen Händen neu für mich entsteht. Ein Mozart, mehr aus der Struktur als aus der Melodie heraus entwickelt, mehr dramatischer Fluß als bloße Aneinanderreihung netter Einfälle.

Und das in der unmissverständlich zwingenden Umsetzung des kompromisslosen Russen, wie man es von ihm kennt und liebt – unerhörte Anschlagnuancen, gewaltige Sogwirkungen, Kontraste, dazu über allem eine bis zum Bersten aufgeladene Spannung, Ergebnis schier unerschöpflicher Kontrolle auch im Angesicht extremster Forderungen an sich selbst. Bezeichnend, dass die beiden Beethoven-Sonaten nach der Pause diesen Eindruck nicht mehr toppen konnten, zu groß war offenbar die Überraschung, gewissermaßen einer Vorwegnahme durch Mozart. Erst mit den Zugaben war das Ende des Tunnels erreicht, das gewohnte Konzert nach dem Konzert justierte den Fokus neu. Sechs weitere Gelegenheiten, die Meisterschaft Sokolovs ehrfürchtig zu bestaunen.

Seit Eröffnung der Elbphilharmonie begleitet mich das Thema Akustik in besonderem Maße. Hier im hinterletzten Winkel der alten Laeiszhalle wurde wieder einmal deutlich, wie leicht man doch dem allgemeinen Hype erliegt bzw. wie sehr wir uns von Faktoren, die das eigentlich Musikalische gar nicht betreffen, beeinflussen und ablenken lassen. Sicher, es gibt gemütlichere Plätze als jenen der Seitenreihe, den Blick zur Bühne von einer stattlichen Säule versperrt, aber man hört deutlich besser als es die Sicht suggeriert. Vieles ist und bleibt einfach eine Frage der Konzentration. Wie nehme ich Musik wahr, wie richte ich meine Antennen aus. Und in diesem Zusammenhang auch: wie gehe ich mit der Tatsache um, dass kein Privatkonzert für mich veranstaltet wird. Jeder achtlose Huster, der die Verletzlichkeit des Augenblickes ignorierte, war hier und heute ebenso ein Schlag ins Gesicht wie er es in jedem Saal ist, in dem wir am flüchtigen Wunder der Musik teilnehmen dürfen. Am Ende geht es um Respekt – vor der Kunst, vor der Hingabe jener, die sie vermitteln, und vor der Leidenschaft derer, für die ein Konzert mehr bedeutet als zwei Stunden totgeschlagene Zeit.

4. März 2017

Schlafes Bruder – Joachim Vogelsänger.
Theater Lüneburg.

20:00 Uhr, Parkett rechts, Reihe 20, Platz 7



Etikettenschwindel in Lüneburg: Statt der erhofften (und postulierten) Umsetzung des Bestsellers als Musiktheater, gibt es einen schnöden Ballettabend mit erweiterter musikalischer Staffage, dem in homöopathischen Dosen eingestreute Lesungsrudimente den Anschein von Geschlossenheit verleihen sollen – vergebens. Die zur Unkenntlichkeit vertanzte Geschichte des über alle Maßen Begabten, Liebenden und nicht zuletzt Verstoßenen, gerät zur seichten Folie für den krachend gescheiterten Versuch, aus der losen Folge einer zweistündigen Best-of-Bach-Collage (plus Füller) ein abendfüllendes Handlungsgerüst zu zimmern.

Die Liste der Unzulänglichkeiten ist lang. In der vielversprechenden Einführung wurde viel über die Tauglichkeit von Bachs Musik gesprochen, in (anderen) szenischen Zusammenhängen zu wirken – Stickwort Affekte. Prinzipiell möchte ich dies nicht ausschließen, in der unmotivierten Aneinanderreihung seiner bekanntesten Vokal- aber auch Instrumentalkompositionen für diese Produktion wurde allerdings jeglicher Spannungsaufbau konsequent vermieden, von handlungsunterstützendem roten Faden gar nicht zu sprechen. Hit folgt auf Hit, die Bezüge zur Geschichte mögen in ihrer theoretischen Konstruiertheit sogar teilweise nachvollziehbar sein, entfalten jedoch selten bis nie dramaturgische Finesse. Eine rühmliche Ausnahme: Während die Hexenjagd auf den Sündenbock der Gemeinde von atonaler, bedrohlicher Klangkulisse begleitet wird (Chorimprovisation I), die Raserei und Hass treffend transportiert, folgt in der nächsten Szene mit dem Griff zum naiven Bauernidyll Annette Thomas ein größtmöglicher Bruch, der die Bigotterie der Dörfler entlarvt – Der Fremdkörper ist entfernt, die „heile Welt“ dreht sich trotz etwaiger Reue weiter. Vielleicht bezeichnend, dass hier gerade die Kombination zweier Nicht-Bach-Stücke die dramaturgische Nulllinie unterbricht.

Abgesehen davon, dass ich in der irrigen Annahme nach Lüneburg fuhr, ein neues Musiktheaterwerk zu erleben, und keinen Ballettabend, ist gegen Tanztheater nichts einzuwenden. Sofern es fesselnd, abwechslungsreich, originär ist. Ich bin kein großer Ballettexperte, aber die Lüneburger Choreografie ist, neben schönen Einzelheiten, geprägt von ermüdenden Wiederholungen und Plattheiten. Durch Tanz lassen sich Inhalte ausdrücken, definitiv, aber wenn es so comichaft illustrativ erfolgt wie teilweise hier, bin ich raus. Anderen scheint gerade die Verbindung von Physischem und „Humor“ vorzüglich zu gefallen: Das Micky-Mousing-Getrappel zu Gesangskapriolen oder die getanzte Umsetzung der lautmalerischen Stöhn- und Hechelvorlage des Chores, um die sexuellen Ausschweifungen der braven Bürger zu präsentieren – hui, die bumsen da, hi hi. Klamauk geht immer. Aber auch weniger „lustig“ angelegte Szenen entfalten durch ihre überzogen illustrative Choreografie eher unfreiwillig komischen Charme, etwa wenn Elias zu exaltierten Gesten, die jeden Stummfilm subtil erscheinen lassen, seinem Zorn auf Gott Luft macht.

Bleibt noch ein kurzer Blick auf die musikalische Güte des Abends. Leider reißen es auch hier die Damen und Herren nicht heraus. Die Sänger – szenisch zu einer Art Zwitterdasein aus mehr oder weniger teilnahmsloser Deko im Kostüm und Träger einer krampfhaft implementierten Verbindung zur Jetztzeit verdammt – sind allesamt keine Experten für die Anforderungen der Barockmusik. Was mitunter recht brutal zu hören ist. Vergeblich ausgefochtene Koloraturkämpfe, Flexibilitätsengpässe. Nicht jeder Opernstimme schmeichelt das Oratorium- oder Kantatenidiom. Der Chor nicht allein örtlich begriffen ein ums andere Mal nicht zusammen, das Lüneburger Orchester unauffällig bis mau (matte Streicher im Air) unter uninspirierter Leitung, die Orgel aus der Konserve ein akustischer Bruch.

Fazit: Abendfüllendes Handlungsballett nennt man jene Gattung, für die John Neumeier gefeiert wird – Olaf Schmidt hat sich mit Schlafes Bruder sowohl semantisch (Musiktheater) als auch im Ergebnis an seinem großen Vorbild böse verhoben.


Schlafes Bruder – nach dem Roman von Robert Schneider
Musikalische Leitung – Joachim Vogelsänger
Inszenierung und Choreographie – Olaf Schmidt
Bühnenbild – Barbara Bloch
Kostümbild – Susanne Ellinghaus

Musik: Johann Sebastian Bach, Arvo Pärt, Claudio Monteverdi, Jean Guillou, Annette Thoma, Franz Schubert, Richard Trunk, Wolfgang Amadeus Mozart, Georg Friedrich Händel

Sänger:
Signe Heiberg, Franka Kraneis, Regina Pätzer, Ulrich Kratz, Timo Rößner

Tänzer:
Dorfbewohnerin Elsbeth – Júlia Cortés
Dorfbewohnerin / Das Kind – Rhea Gubler
Burga – Gabriela Luque
Seelenzilli – Giselle Poncet
Seffin – Claudia Rietschel
Meistenteils – Anibal dos Santos
Peter – Wallace Jones
Dorfbewohner / Elias 2 – Wout Geers
Lukas – Francesc Fernández Marsal
Dorfbewohner / Elias 1 – Phong Le Thanh
Seff – Matthew Sly

Lüneburger Symphoniker
Haus- und Extra-Chor
Kantoreien von St. Johannis und St. Michaelis