24. November 2017

Miriways / Eröffnungskonzert Telemann-Festival
– Bernard Labadie. Laeiszhalle Hamburg.

20:00 Uhr, Parkett rechts, Reihe 9, Platz 5


Georg Philipp Telemann – Miriways TWV 21/24, 
Oper in drei Akten (konzertante Aufführung)

Leitung – Bernard Labadie

Miriways – André Morsch
Sophi – Robin Johannsen
Bemira – Sophie Karthäuser
Nisibis – Lydia Teuscher
Murzah – Michael Nagy
Samischa – Marie-Claude Chappuis
Zemir – Anett Fritsch
Gesandter – Paul McNamara
Geist, Scandor – Dominik Köninger

Akademie für Alte Musik Berlin


Bedenkt man, wie wenig Bock ich im Vorwege auf dieses Konzert hatte und wie knapp an der Nachweisbarkeitsgrenze meine Erwartungshaltung verlief, hat sich der Abend durchaus vorteilhaft entwickelt. Bei meiner ersten Begegnung mit einer Telemann-Oper überhaupt ging es erst mal back to the roots, bzw. back to good old Laeiszhalle – Elbphilharmonie-Abo 3 mit Retro-Einstand. Dass mit Herrn Volle der aktenkundig zugkräftigste Name der Besetzung als Ausfall zu vermelden war, noch dazu für die Titelpartie, machte die Sache erst mal nicht attraktiver, ermöglichte es Herrn Morsch jedoch, als Einspringer zu überzeugen. Wenn ich leise Kritik üben möchte, dann nur teilweise an der darstellerischen Umsetzung der Rolle, bzw. der Intensität, oder anders ausgedrückt: hier und da vielleicht etwas weniger darauf achten, schön zu singen, als vielmehr auch mal über die Stränge schlagen, beispielsweise tatsächlich (stimmlich) aus der Haut fahren, wo es das Libretto nahelegt.

Überhaupt ist das vielleicht ein allgemeiner Kritikpunkt an das ganze Ensemble, das immer ohrenschmausig, bisweilen aber auch etwas brav agierte. Naturgemäß gibt natürlich die Rolle des herrlich intriganten Zemirs deutlich mehr Futter, um schauspielerisch zu glänzen, als beispielsweise ein Sophi, der das Gros seiner Austritte mit Leiden und Lamentieren über sein Schicksal zunölt; dafür kann die gute Robin Johannsen – erst kürzlich im kleinen Saal (Link) der Elbphilharmonie kennengelernt – natürlich nichts. Und dennoch bereitet es ungleich mehr Freunde, Anett Fritsch mit überbordender Spielfreude beim Ausbaldovern von Boshaftigkeiten beizuwohnen. Michael Nagy als Murzah füllt den erst treudoof erscheinenden, am Ende jedoch durchaus feurigen Verehrer der Nisibis ebenfalls mit Leben. Für Achtungsmomente sorgt Dominik Königer, der in seinen beiden Kurzauftritten jeweils eine beeindruckende Stimme präsentiert.

Die Überraschung des Abends liefert aber Telemann selbst mit seiner Komposition. Führt man sich den formalen Aufbau der Oper vor Augen, die, bis auf wenigste Ausnahmen auf der stoisch durchgezogenen Abfolge von Rezitativen und Soloarien zusammengesetzt ist, könnte man ein eintöniges, ermüdendes Ergebnis befürchten. Es ist im Gegenteil verblüffend, wie abwechslungsreich Telemann sein Werk unter dieser „Limitation“ gestaltet. Es gibt eine Vielzahl an Stimmungen von erhaben bis urkomisch, verschiedene Stilmittel, um auch in der Instrumentation nicht im eigenen Saft zu schmoren und nette Effekte wie das auskomponierte, hämische Lachen Zemirs oder den Einsatz einer Stimme aus der Ferne. Das erste und einzige wirkliche Duett erleben wir erst, nachdem sich eines der beiden füreinander bestimmten Paare endlich gefunden hat – auch kein ganz schlechter Einfall. Aber man kann natürlich auch ein vortreffliches „Duett“ aus einer Stimme und einer Oboe erschaffen, auch hier zeigt sich der Tonsetzer erfinderisch.

Fazit: Mein Status zur Alten Musik bleibt eine Fernbeziehung, aber Telemann hat sich heute weder als Lieferant von Stangenware noch als Langweiler erwiesen.

9. November 2017

NDR Elbphilharmonie Orchester – Paavo Järvi.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 15, Bereich M, Reihe 2, Platz 7



Ludwig van Beethoven – Violinkonzert (Frank Peter Zimmermann)
Zugabe: Sergej Rachmaninow – Prélude op. 23, Nr. 5 g-Moll
(Transkription Ernst Schliephake)

(Pause)

Dmitri Schostakowitsch – Sinfonie Nr. 7


Es ist zum Mäuse Melken. In diesem Leben wird das wohl nichts mehr mit dem NDR und mir. Da kann nicht mal Paavo Järvi als Vermittler helfen, den ich insbesondere in seiner Funktion als Chef der Kammerphilharmonie Bremen und sichere Bank als Gastdirigent sehr schätze. An seiner Interpretation lag es nicht, dass heute trotz zweier Lieblingswerke nicht so recht Favoritenstimmung aufkommen wollte.

Egal ob Beethoven oder Schostakowitsch, an der Lesart und der „technischen Ausführung“ habe ich wenig auszusetzen – und doch will sich die Wirkung, die von diesen Werken ausgehen kann, einfach nicht einstellen. Sind es die (fehlenden) Klangfarben? Gibt es da doch eine gewisse akademische Steifheit, oder bilde ich mir das nur ein? Am Ende kann es mir egal sein, komme ich mit anderen Orchestern doch einfacher ans Ziel.

Fazit: Halbzeit im Abo D, Ernüchterung macht sich breit, vielleicht begebe ich mich nach dieser Spielzeit doch NDR-technisch ein paar Jahre in den Winterschlaf, zumal mich der designierte neue Chef des Vereins auch nicht unbedingt in euphorische Vorfreude versetzt. Man wird sehen und vor allem hören, was die Zeit bringt.

7. November 2017

Zyklus D "Große Stimmen" – Philippe Jaroussky.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Ebene 15 J, Reihe 1, Platz 1



Georg Friedrich Händel:

- Ouvertüre aus der Oper „Radamisto“ HWV 12a/12b
- „Pensa a serbami, o cara“ – Arie aus der Oper „Ezio“ HWV 29
- „Son pur felice“ & „Bel contento“ – Rezitativ und Arie aus der Oper „Flavio“ HWV 16
- Concerto grosso Nr. 1 in G-Dur HWV 319 op. 6 – IV. Allegro
- Sinfonia für Fagott, Streicher und B.c. H-Dur HWV 338 – Adagio
- „Son stanco“ & „Deggio morire o stelle!“ – Rezitativ und Arie aus der Oper „Sirore“ HWV 24
„Arrival of the Queen of Sheba“ – Sinfonie aus „Solomon“ HWV 67
- Concerto grosso Nr. 8 in c-Moll HWV 326 op. 6 – II. Grave
- „Se Potessero i sospir miei“ – Arie aus der Oper „Imeneo“ HWV 41
- Concerto grosso Nr. 4 in a-Moll HWV 322 op. 6 – III. Largo e piano, IV. Allegro
- „Vieni, d’ empietà mostro crudele, aprimi’ l petto“ & „Vile, se mi dai morte“ – Rezitativ und Arie aus der Oper „Radamisto“ HWV 12

(Pause)

- Concerto grosso Nr. 2 in F-Dur HWV 320 op. 6 – III. Largo
- „Che mi chiama alla gloria“ & „Se parla nel mio cor“ – Rezitativ und Arie aus der Oper „Giustino“ HWV 37
- Concerto grosso Nr. 6 in g-Moll HWV 324 op. 6 – Allegro ma non troppo
- Concerto grosso Nr. 2 in B-Dur HWV 313 op. 3 – II. Largo
- „Che più si tarda omai“ & „Stille amare“ – Rezitativ und Arie aus der Oper „Tolomeo“ HWV 25
- Concerto grosso Nr. 4 in a-Moll HWV 322 op. 6 – I. Larghetto affettuoso, II. Allegro
- „Ombra cara“ – Arie aus der Oper „Radamisto“ HWV 12
- Concerto grosso Nr. 3 in G-Dur HWV 314 op. 3 – III. Adagio
- „Privarmi ancora“ & „Rompa i lacci“ – Rezitativ und Arie aus der Oper „Flavio“ HWV 16

Zugaben:
- „Qual nave smarrita“ aus der Oper „Radamisto“ HWV 12
- „Si, la voglio e l’otterro“ aus der Oper „Xerxes“ HWV 40
- „Frondi tenere ... Ombra mai fù“ aus der Oper „Xerxes“ HWV 40

(Ensemble Artaserse, Philippe Jaroussky – Countertenor)


Kein Händel-Abend ohne das herrlich ketzerische Kowalski-Zitat: Ohne Händel kann ich leben. Seine Musik ist wirklich nicht meins, nur die ruhigen Sachen berühren, diese Koloraturakrobatik lässt mich kalt, ermüdet vielmehr. Auch die Orchesterstücke unterfordern mich hart. Aber: Kompliment an den Programmfluss. Nahtlose Übergänge zwischen instrumentalem und Gesangsstücken. Zweiteilung erste Halbzeit – nicht doof!

Ensemble: Keine 20 Leutchen im Kampf gegen sich verstimmende Saiten. Historische Aufführungspraxis geht nicht emphatischer, zupackender – trotzdem bin ich da raus und vermisse vernünftige Instrumente. Der Celloklang schmalbrüstig, die Oboen und das Fagott mitunter hölzern (lag sicher nicht an den Musikern), die Violinen mal herrlich ruppig, dann aber wieder dünn. Das Cembalo vollbringt in der Saal-Akustik seltsame Klickgeräusche. Och nö. Nochmal: diese Stimmerei geht mir auf den Sack – warum dies selbst gewählte Leid mit minderem Material?

ABER: Wenn ein solches Schmonz-Verdikt mal angebracht ist, dann heute: eine Stimme wie ein Engel. Weder männlich, noch weiblich. Was für eine Phrasierung, Diminuendi, krasse Zartheiten in (gottseidank!) absoluter Stille – Wahnsinn. Die armen Podiumsplatzinhaber (ich denke mit Phantomschmerz an Kaufmann zurück), denen der direkte Glanz dieses Wunderorgans entgeht. Aber wo wir schon beim Publikum sind – viel gibt es zu schelten in diesen Tagen der Elphimanie, aber heute zeigten sich die Besucher von ihrer Schokoladenseite. Obwohl – oder wahrscheinlich dann doch gerade weil – es heute ein Programm für Spezialisten und Feinschmecker gab, war die Konzentration im Saal absolut vorbildlich. Man kann gar nicht oft genug betonen, welch eklatanter Unterschied sich unter diesen akustischen Bedingungen zwischen den Zuständen „eigentlich ganz ruhig“ und „mucksmäuschenstill“ ergibt. Im wahrsten Sinne atemberaubend, wenn sich eine einzelne, feine, überirdische Stimme in diesen Raum ergießt, Wellen der Verzückung in den Äther schickt.

Nur eine Frage stellt sich mir: warum singt der Bursche nicht Britten? wo bleibt der Apollo, wo der Oberon mit seiner unvergleichlichen Arie? Ist doch überschaubar, was der Engländer für diese Stimmlage komponiert hat, aber nicht minder betörend – genau das Richtige für diese einmalige Stimme.