30. August 2017

Gustav Mahler Jugendorchester – Ingo Metzmacher.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Ebene 15, Bereich N, Reihe 3, Platz 20



Olivier Messiaen – Turangalîla-Sinfonie
(Jean-Yves Thibaudet – Klavier,
Valérie Hartmann-Claverie – Ondes Martenot)



Womit wir wieder beim Thema Eignungstest für Konzertbesuche(r) wären. Was für eine Quälerei, die sich da unzählige Stoffel mit diesem wundervollen Werk aufgehalst haben, nur um einmal die Herzkammer von Hamburgs beliebtester Aussichtsplattform mit Parkdeckanbindung von innen gesehen zu haben. Gesehen wohlgemerkt. Mit einer Karte, die einem der Zufall, das Schicksal oder die gnädige Fügung eines Arbeitgebers und gleichzeitigen Sponsors in den unkundigen, unvorbereiteten, vorbereitungsunwilligen Schoß fallen ließ.

All diesen armen, geknechteten Seelen ist leider verborgen geblieben, welch Spitzenkonzert sie da gerade überfordert hat. Zehn Sätze Kontemplation bis Ekstase, vollendet dargeboten vom Gustav Mahler Jugendorchester. Wobei man den Zusatz „Jugend“ in Bezug auf das reine Ergebnis getrost streichen könnte – hier sitzen keine Fahranfänger, sondern professionelle Piloten, die die Mitglieder manch anderer gediegener Rennställe alt aussehen lassen. Da hat Abbado schon was Feines initiiert. Um Nachschub für das Mahler Chamber Orchestra muss einem nicht bange sein.

Auch wenn ich weder Messiaen- noch Turangalîla-Experte bin, wüsste ich nicht, wie man diese Sinfonie mit mehr Konsequenz und vor allem Vehemenz rüberbringen könnte, als es Metzmacher heute gelungen ist. Wirklich beeindruckend, mit welcher Wirkung er sich (auch) als Anwalt der sogenannten modernen Musik auszeichnet – das Konzert mit den Wienern an gleicher Stätte war eine Offenbarung (Link). Obgleich Messiaen am Ende des Tages wohl in meinen Privat-Olymp der „Modernen“ nicht die Sympathiegipfel eines Britten und Schostakowitsch erklimmen wird, so hat sich an diesem Abend doch eingelöst, was sich in einigen vorherigen, flüchtigen Begegnungen, meist auf CD, angekündigt hat – ich mag den Mann! Als Freund der Variation nehme ich die Turangalîla-Symphonie mit ihren vielgestaltig wiederkehrenden Motiven und Mustern ebenso dankbar wie fasziniert auf.

Überwiegen auf den ersten Blick in der archaischen Artikulation und Rhythmik vielleicht noch Bezüge zum Sacre Strawinskys, ist es mit fortschreitender Dauer unter anderem die teilweise entwaffnend liebliche Melodik und Harmonik, welche den Personalstil Messiaens selbst Laien wie mir beim ersten Kennenlernen vermittelt. Allerdings muss ich gestehen, dass der Erstkontakt mit diesem Werk, sogar als Liveerlebnis, bereits vollzogen war, obwohl das Konzert in der Alten Oper Frankfurt mittlerweile mehr als 10 Jahre zurückliegt. Wie dem auch sei, die musikalische Sprache Messiaens hält immer wieder Momente bereit, ob im Taumel des rhythmischen Rausches oder in Passagen der Ruhe, die von einer verblüffenden Süße sind, bittersüß, wie ich das sonst nur von seinem Landsmann Poulenc kenne, der ebenfalls gern mal solch duftige Harmonien aus dem Nichts zaubert – gar ein französisches Phänomen?

Ich möchte mich in diesem Zusammenhang ausdrücklich gegen den Kitsch-Begriff wehren. Eher naiv im Sinne kindlicher Reinheit. Begriffe wie Güte, Anteilnahme, Verspieltheit, Witz, von mir aus auch Sentimentalität kommen mir in den Sinn. In jedem Fall ist die Wirkung dieser konsonanten Inseln, Kraft ihrer Implementierung in ein so komplexes, ausdrucksbreites Gefüge, welches aus dem Arsenal der das rein Tonale überwundenen Entwicklung gespeist wird, in höchstem Maße anregend. Und für einen solchen Klops der Moderne obendrein ziemlich einstiegsfördernd. Die Melodielinien, welche Frau Hartmann-Claverie (übrigens auch seinerzeit in Frankfurt) dem Ondes Martenot entlockt, das oft als eine Art Leitinstrument für die Streicher fungiert, greifen die Emphase der Spätromantik auf, es sehnt, seufzt und jauchzt, dass es beinahe schon trieft. Im Gegensatz dazu brennt sich z.B. das immer wiederkehrende Posaunenmotiv trotz oder gerade wegen seines schroffen Charakters ein – nebenbei bemerkt: Was für eine Perfektion des Klangs, den die Blechgruppe insgesamt an diesem Abend demonstriert.

Darüber hinaus vereint das Werk sehr anschaulich, wofür Messiaen mir vom Hörensagen bereits ein Begriff war. Einflüsse der traditionellen indonesischen Gamelan-Musik sind in der groß dimensionierten Schlagwerkabteilung inklusive Klavier ((Jean-Yves Thibaudet mit einem Anschlag-Ambitus von Amboss bis Daune) auszumachen, die gefiederten Motivbausteine, die der Ornithologe im Komponisten in seine Partitur integriert hat, die teils deutlich registerartige Behandlung des Orchesters, welche den Organisten im Komponisten verrät, allgemein die Liebe zum Farbigen, Rauschhaften. Und berührende Klangmalerei findet sich zur Genüge, etwa wenn Messiaen die Kontrabässe und alle weiteren tiefen Stimmen an einer Stelle erst komplett außen vor lässt, hohe Streicher und Bläser dieses fast schon choralartige Thema intonieren, bis dann schließlich das Bassfundament zugeschaltet wird. Glücklicherweise fanden sich trotz der eingangs monierten Sonntagshörer genug Musikfreunde im Saal, um dieses außergewöhnliche Konzert gebührend zu feiern.